Herbert Bastian

Im November 2022 interviewte ich den ehemaligen DSB-Präsidenten IM Herbert Bastian für den Schachgeflüster Podcast. Im Dezember 2022 erschien dann eine bebilderte Zusammenfassung des Interviews im Schachmagazin64.

Hier kommt der Interviewtext:

IM Herbert Bastian zum 70. Geburtstag

Herbert Bastian wird 70 Jahre alt. Das Schachmagazin 64 gratuliert und wirft gemeinsam mit dem Jubilar einen Blick in die Vergangenheit. | Von Michael Busse

Er ist 20-facher saarländischer Landesmeister und besiegte Victor Kortschnoi. Von 2011 bis 2017 war IM Herbert Bastian der Präsident des Deutschen Schachbundes.. Zudem amtierte er vier Jahre lang als Vizepräsident des Weltschachverbands FIDE. Heute beschäftigt er sich leidenschaftlich mit der Schachgeschichte. Vor einigen Wochen erhielt er das Bundesverdienstkreuz, als Anerkennung für sein jahrzehntelanges Engagement als Spitzenfunktionär sowie für seine Arbeit an der Basis.

Hallo Herr Bastian! Unser Interview findet inmitten des Schachdramas um Hans Niemann statt. Was sagen Sie dazu? 

Ich halte Cheating für eine enorme Gefahr für den Schachsport. Ich denke auch, dass Cheating in der gesamten Gesellschaft zu einem Riesenthema geworden ist. Mein Eindruck ist, dass es insgesamt mit der Wahrheit nicht mehr so ernst genommen wird. Was Hans Niemann angeht, sind sich die Experten ja nicht ganz einig. Von meinem Standpunkt her ist es unmöglich, ein abschließendes Urteil zu treffen.

Einer Ihrer bemerkenswerteste Erfolge war die Gewinnpartie gegen Victor Kortschnoi 1981 in Baden-Baden. Wie ist Ihnen dieser Sieg geglückt? 

Aus irgendeinem Grund hatte ich mich den ganzen Morgen auf Italienisch vorbereitet. Als Kortschnoi e7-e6 zog, ist mein Puls erstmal hochgeschnellt. Er hat dann eine Variante gespielt, in der es mir gelungen ist, eine Neuerung zu finden. Kortschnoi fand kein gutes Konzept dagegen, und nach dem Übergang ins Endspiel war klar, dass ich eine Figur gewinnen würde. Kortschnoi hat dann noch einige Tricks versucht und seine Bedenkzeit fast ablaufen lassen, aber ich passte zum Glück auf und fiel nicht in seine Pattfalle. Durch diesen Sieg habe ich begriffen, dass ich auch gegen die Besten der Welt eine vernünftige Partie spielen kann.

Sie gelten als Autodidakt, weil es in Ihrer Jugendzeit im Saarland kaum Schachtrainer gab. Grämen Sie sich darüber, dass Sie dadurch eine noch steilere Karriere verpasst haben? 

Nein. Ich habe schon relativ früh erkannt, dass ich psychisch nicht stabil genug bin, um eine Schachkarriere auf hohem Niveau anzustreben. Ich habe deshalb ganz bewusst den Weg in einen sicheren Beruf als Lehrer gewählt und eine Familie gegründet. Ich hatte immer viel Freude am Schach und habe das erreicht, was ich erreichen konnte. Wenn ich ein paar Elopunkte mehr gemacht hätte, hätte das die Welt auch nicht verändert.

Aktuell arbeiten Sie an einem schachhistorischen Großprojekt. Worum geht es dabei? 

Sie sprechen das Chapais-Projekt an. Im Moment bin ich dabei, ein 700 Seiten umfassendes Buch fertigzustellen. Ausgangspunkt war für mich das berühmte Endspiel zwei Springer gegen Bauer. Die Theorie dieses Endspiels wurde erstmalig im Manuskript des Chapais im 18. Jahrhundert formuliert. Ich besorgte mir mit Hilfe meines Freundes Dr. Michael Negele das Manuskript und stellte mir die Frage, wer dieser Chapais gewesen sein könnte. Aus der damaligen Zeit kennt ja man vor allem zwei Spieler. Da kann ich Sie ja mal fragen, wen Sie da nennen würden. 

Oh je. Vielleicht Philidor? 

Absolut. Philidor hat damals alles überstrahlt. Zu nennen ist auch noch Philipp Stamma, der syrische Schachmeister. Es blieb aber die Frage, wer dieser Chapais war. Sein Manuskript besteht aus 523 Seiten, vollgespickt mit Endspieltheorie auf höchstem Niveau. Ich hatte bei der ersten Sichtung bereits den Verdacht, dass es ein Mathematiker gewesen sein muss, weil das Wort “Korollar” vorkommt. Dieses Wort kenne ich nur aus der Mathematik. Ich besorgte mir dann Handschriftproben von allen französischen Mathematikern aus der damaligen Zeit. Dabei stieß ich auf eine Handschrift, die derjenigen aus dem Manuskript sehr ähnlich war. Sie gehört dem berühmten, aber in Deutschland fast unbekannten Gaspard Monge. 

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Und hat sich dieser Monge nachweislich auch in Sachen Schach betätigt? 

Ja! Es gibt an der École Polytechnique in Paris handschriftliche Aufzeichnungen von ihm über das Problem der Springerwanderung. Schon vorher haben sich andere Mathematiker wie Leonhard Euler mit der Springerwanderung beschäftigt. Offenbar ist Monge ca. 1767 auf die Arbeiten von Euler gestoßen. Das hat dazu geführt, dass er das Problem in das Chapais-Manuskript aufgenommen hat. Das ist natürlich nur eine Interpretation von mir, der aber umfangreiche Recherchen zugrunde liegen. 

Bekannt sind Sie in erster Linie nicht als Schachhistoriker, sondern als ehemaliger DSB-Präsident. Wie sieht die Bilanz Ihrer Amtszeit von 2011 bis 2017 aus? 

Als ich antrat, hatte der DSB sehr schlechte finanzielle Verhältnisse. Man musste sogar bei der Europäischen Schachunion ein Darlehen aufnehmen. Am Ende meiner Amtszeit hatten wir eine gesunde Kasse. Zudem haben wir seitdem eine Vorwärtsbewegung im Frauenschach. Außerdem konnten wir den Mannschaftseuropameistertitel 2011 nach Deutschland holen. Dem waren sehr viele Gespräche vorausgegangen, um wieder ein schlagkräftiges Team aufzustellen. Dazu kommt die Etablierung der Deutschen Amateurmeisterschaft als Veranstaltungsreihe. Und auch die Deutsche Schachjugend hat sehr gute Arbeit geleistet in dieser Zeit, auch wenn ich mich manchmal mit ihr gerieben habe. Als wichtig bewerte ich, obwohl sie umstritten war, die Wiederannäherung an die FIDE. Lassen Sie mich auch erwähnen, dass das erfolgreiche Prinzenprojekt in meine Amtszeit fällt. 

In welchen Bereichen haben Sie Ihre Ziele nicht erreicht? 

Die Zusammenarbeit mit den Landesverbänden hat nicht mehr so gut funktioniert. 

Und das, obwohl Sie ja vorher Sprecher des Arbeitskreises der Landesverbände waren. 

Richtig. Ich habe da wohl auch Fehler gemacht. Aber der Deutsche Schachbund hat eben andere Aufgaben als die Landesverbände. Mir fällt noch etwas Positives ein, nämlich die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Im Laufe des Jahres 2014 konnte ich, auch dank der Unterstützung zahlreicher Schachfreunde und Politiker, gewährleisten, dass die Leistungssportförderung des Schachbundes weitergeführt werden konnte. Ursprünglich sollten nur noch Sportarten mit einer “sportartspezifischen, eigenmotorischen Bewegung” weiter gefördert werden. Einmal fragte ich Alfons Hörmann vom DOSB: “Sagen Sie, was ist eigentlich die sportartspezifische Bewegung der Sportschützen?” Da habe ich gemerkt, dass es bei ihm Klick gemacht hat. 

Eine erfolgreiche Arbeit nach außen, durchaus. Aber nach innen gab es Streitigkeiten mit Ihren Vizepräsidenten und Turbulenzen, die dann im Kongress 2015 in Halberstadt gipfelten. Sie wurden wiedergewählt, sprachen aber von einer Diffamierungskampagne. Was war damals los? 

Es gab einen internen Machtkampf, auf den ich aber nicht näher eingehen möchte. Eine Hauptquelle der Streitigkeiten war die Frage, ob der Deutsche Schachbund Garri Kasparov oder den amtierenden FIDE-Präsidenten Kirsan Ilyumzhinov unterstützt. Ich war damals einem massiven Druck von drei Mitgliedern aus dem Präsidium des DSB ausgesetzt, öffentlich für Kasparov Wahlkampf zu machen. Das habe ich abgelehnt. 

Warum? 

Erstens gab es ein mehrheitliches Statement der Landesverbände, dass der Deutsche Schachbund neutral bleibt. Zum anderen fand 2013 in Tallinn ein FIDE-Kongress mit einer Wahlkampfparty von Kasparov statt. Dort wurde bekanntgegeben, dass Ignatius Leong vom Team Ilyumzhinov zu Kasparov wechselt. Das fand ich abstoßend, weil man so etwas nicht macht, wenn man noch in Verantwortung für den Amtsinhaber steht. Dazu kommt, dass später ein Vertrag zwischen Leong und Kasparov veröffentlicht wurde, der für mich ganz klar den Geruch von Stimmenkauf hatte. 

Auf dem DSB-Kongress 2017 wurden Sie schließlich abgewählt. Im ersten Wahlgang bekam Ullrich Krause 99:71 Stimmen, bei einigen Nein-Stimmen und Enthaltungen. Sie gratulierten Krause zur Wahl und meldeten sich beim Versammlungsleiter ab. Da Krause aber nicht die absolute Mehrheit der Stimmen hatte, wurde ein zweiter Wahlgang anberaumt – ohne Sie. Haben Sie die Flinte zu früh ins Korn geworfen? 

Wir sind ja nicht im Kindergarten. Krause hatte die Mehrheit. Ich war zwar wirklich überzeugt, dass die Wahl schon entschieden sei, aber ich hätte auch eine Wahl mit knapp mehr als die Hälfte der Stimmen in dieser Situation nicht angenommen. Ein zerstrittener Verband kann nicht effektiv arbeiten. Da es mir nicht gelungen ist, eine überzeugende Mehrheit zu gewinnen, sollte Ullrich Krause die Chance bekommen. Ullrich ist ein solider Arbeiter. Der Deutsche Schachbund hat eigentlich seitdem eine vernünftige Weiterentwicklung genommen. 

Die Mitgliederzahlen des DSB gehen zuletzt nach unten. Viele Vereine überaltern. Auch zu Ihrer Zeit stand das Thema Vereinssterben schon auf der Agenda. Was waren Ihre Ideen, um dem entgegenzuwirken? 

Das Vereinsleben ist ja eine Sache der Landesverbände. Der Schachbund hat darauf keinen Einfluss. Ich hatte natürlich gehofft, dass durch eine Stärkung des Arbeitskreises der Landesverbände sich dort Ideen und Kooperationen entwickeln. Erwähnenswert ist auch, dass wir zu Beginn meiner Amtszeit ein Konzept für Direktmitglieder beim DSB vorgestellt hatten, das abgelehnt wurde. Was ich zudem sehr gerne gehabt hätte, ist ein Verbandsprogramm. Ich war immer der Meinung, dass man Energien besser bündeln kann, wenn man sich zu gemeinsamen Zielen verabredet. In meiner Amtszeit kam das leider nicht zustande. 

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Mittlerweile gibt es ja ein Verbandsprogramm, das aber schon einige Zeit nicht mehr aktualisiert wurde. 

Sehen Sie, das ist eine Wissenslücke bei mir. Es ist erfreulich, wenn es das jetzt gibt. Maßnahmen wie zum Beispiel gegen das Vereinssterben gehören auf jeden Fall in so ein Programm hinein. Das ist die Theorie. Aber wie sieht die Praxis aus: Haben wir überhaupt noch die Leute? Es gibt immer weniger Funktionäre, die bereit sind, sich das ganze Leben für einen Sport einzusetzen. 

Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Over-the-Board Turniere werden zurzeit sehr gut besucht. 

Das ist richtig. Insofern gibt es einen Strukturwandel. Was das für das Vereinsleben bedeutet, ist noch nicht klar. 

Ein anderes Thema, dessen Wichtigkeit Sie während Ihrer Amtszeit immer wieder betont haben, ist das Frauenschach. Welche Chancen haben Sie damals gesehen und wo stehen wir heute? 

Nun, wenn man neun Prozent Frauenanteil hat, dann ist das einfach zu wenig. Mein Gedanke damals war: Wenn es gelänge, Frauen für Schach zu interessieren und in die Vereine zu holen, dann könnte das Vereinsleben davon profitieren. Ich habe ja auch ganz massiv dafür geworben, eine weibliche Vizepräsidentin zu bekommen. Das ist dann erst nach mir umgesetzt worden mit Olga Birkholz, hat jedoch auch nicht lange gehalten. Damals wollte ich das Präsidium erweitern. Eiine Position sollte von einer Frau besetzt werden. Dagegen gab es aber massive Widerstände. 

Michael Langer war dagegen? 

Muss ich das beantworten? 

Das war eine rhetorische Frage. 

Michael Langer war nicht dafür, sagen wir es einmal so. Aber ich möchte auch betonen, dass mein Verhältnis mit Michael Langer zumindest von meiner Seite aus ausgeglichen ist. Wir haben uns ausgesprochen über die damalige Zeit und sind nicht verfeindet. Schwamm drüber, ich wünsche ihm alles Gute. 

Der Deutsche Schachbund hatte ja lange Zeit kein besonders gutes Verhältnis zum Weltverband FIDE und hat diesen vor Ihrer Zeit sogar einmal verklagt. Wie kam es denn dazu, dass Sie Vizepräsident der FIDE wurden? 

Bei der Klage 2010 ging es um die Kandidatur von Karpow als FIDE-Präsident. Durch Druck von oben hat der sowjetische Schachverband wieder Ilyumzhinov nominiert. Dagegen wurde von Karpov geklagt, und der Schachbund hatte sich an dieser Klage beteiligt. Als ich dann DSB-Präsident wurde, wurde ich damit konfrontiert, dass die FIDE einen Teil der Prozesskosten vom DSB zurück wollte. Das war natürlich international für mich ein grauenhafter Start. Letzten Endes ist es mir gelungen, diese Sache zu befrieden. 

Wie ging es dann weiter? 

Die FIDE hat signalisiert, dass man den DSB gerne wieder mit im Boot hätte, und fragte mich, ob ich als Vizepräsident kandidieren möchte. Das amtierende DSB-Präsidium war dagegen, aber viele andere Funktionsträger aus der Schachwelt waren der Meinung, dass das für das deutsche Schach gut sei. Ich habe mich bei der FIDE dafür eingesetzt, dass wir die Blitzschach- und Schnellschach-WM 2013 nach Berlin bekommen haben. 2017 wollte die FIDE meine Wiederwahl unterstützen und vergab dazu das Kandidatenturnier nach Berlin. Das hat aber nicht mehr geholfen. Ungeachtet dessen hat das DSB-Präsidium danach die konstruktive Zusammenarbeit mit der FIDE fortgesetzt, und das ist meiner Meinung nach die richtige Entscheidung. 

Vor einigen Wochen wurden Sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet –  die höchste Auszeichnung, die der Bundespräsident für das Ehrenamt ausspricht. Wie nehmen Sie die Ehrung wahr? 

Ich habe mich sehr darüber gefreut. Viele Freunde auf Bundesebene haben mich beglückwünscht und gesagt, dass ich es verdient habe. Also kann nicht alles falsch gewesen sein. 

In welchen Rollen sind Sie heute noch neben Ihrer schachhistorischen Forschung aktiv? 

Ich habe immer noch eine gültige A-Trainer-Lizenz, kann also in der Trainerausbildung eingesetzt werden. Dazu schreibe ich auch für die Zeitschrift JugendSchach und verfasse eine regelmäßige Kolumne für die Rochade. Als Trainer arbeite ich im Verein und betreue zwei Schulschach-AGs. 

Wow. Also sind Sie ordentlich beschäftigt, nach wie vor. 

Ja, aber langsam muss ich mal kürzer treten [lacht]. 

Sie feiern am 10. Dezember 2022 Ihren 70. Geburtstag. Haben Sie irgendwelche Geburtstagswünsche? 

Ich hoffe, dass ich mein Chapais-Projekt abschließen kann. Das ist ein kleines Lebenswerk von mir. Und dann muss man mal schauen, wofür die Energie noch reicht. 

Ich hoffe, sie reicht noch für viele weitere Vorhaben. Besten Dank für das Interview! 

Ich bedanke mich auch herzlich für diese Gelegenheit. 

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