Die Bezold-Brüder

Im August 2022 interviewte ich die Brüder Thomas und Michael Bezold von der Pulvermühle. Im September 2022 erschien dann die Zusammenfassung des Interviews im Schachmagazin64.

Hier kommt der Interviewtext:


wir versteckten bobby fischer

1989/90 hielt sich Schachlegende Bobby Fischer drei Monate lang in der Pulvermühle bei Kaspar Bezold versteckt. Zwei seiner Söhne erzählen | Von Michael Busse

Bobby Fischer ist für viele Menschen die faszinierendste Persönlichkeit in der Schachgeschichte. Vor 50 Jahren fand sein legendäres WM-Match gegen Boris Spasski statt. Millionen von Menschen begeisterten sich dadurch für das Schachspiel. Gut 17 Jahre später versteckte sich Fischer im Gasthaus Pulvermühle in der fränkischen Schweiz. Michael Busse vom Schachgeflüster Podcast sprach mit den Brüdern GM Michael Bezold und Prof. Dr. Thomas Bezold darüber, wie Fischer in den Kreis der Familie aufgenommen wurde. 

Herr Dr. Bezold, Sie sind gemeinsam mit Ihren Geschwistern in der Pulvermühle aufgewachsen. Einem Ort mit Geschichte? 

Dr. Thomas Bezold: Absolut. Der Legende nach sollen französische Truppen auf dem Weg nach Moskau hier in Waischenfeld vorbeigezogen sein. Als glühender Patriot weigerte sich der Müller, für die Franzosen Pulver zu mahlen. Einem Ultimatum kam er zuvor, indem er sich und seine Familie mitsamt der Mühle in die Luft sprengte. Im Jahr 1875 haben meine Ururgroßeltern das Anwesen erworben und aus der ehemaligen Pulvermühle einen Gaststättenbetrieb gemacht. 

1968 sollen Ex-Weltmeister Tigran Petrosian und auch der „ewige Zweite” Paul Keres das Tanzbein in der Pulvermühle geschwungen haben. War dies der Auftakt für eine besondere schachliche Ära? 

Dr. Thomas Bezold: Ja. Hintergrund ist, dass 1968 ein internationales Großmeisterturnier in Bamberg veranstaltet wurde. Einige der Teilnehmer kamen zum Tanz in die Pulvermühle. Das Ganze geht auf die freundschaftlichen Beziehungen von Lothar Schmid zu unserem Vater Kaspar Bezold zurück. Durch seine internationalen Aktivitäten als Schiedsrichter und Großmeister hat Lothar Schmid immer wieder Gäste empfangen und viele davon in die Pulvermühle geführt. 

Der prominenteste Gast der Pulvermühle war sicherlich Bobby Fischer, der zum Jahreswechsel 1989/1990 drei Monate in der Pulvermühle verbrachte. In der ersten WM-Partie 1972 tätigte Fischer einen der berühmtesten Fehlgriffe der Schachgeschichte, und zwar Lxh2. Bobby Fischer soll gegenüber Vlastimil Hort geäußert haben, dass er diesen Fehler mit Absicht gemacht habe. Hat Fischer darüber etwas erzählt? 

GM Michael Bezold: Das habe ich ähnlich in Erinnerung. Seine Aussage mir gegenüber war sinngemäß: „Glaubst du wirklich, dass ich einen solchen Zug machen würde, wenn ich ernsthaft um die Weltmeisterschaft spiele?” Aber ganz genau kann ich das nicht mehr rekapitulieren. 

Es wird ein Rätsel bleiben. Herr Dr. Bezold, wie waren Ihre persönlichen Eindrücke von Fischer? 

Dr. Thomas Bezold: Mir ist in Erinnerung, dass Fischer sich neben Schach auch sehr fürs politische Weltgeschehen interessierte. Er schaute gerne mit uns im Wohnzimmer das heute-journal oder die Tagesschau. Deutsch konnte er einigermaßen lesen und verstehen, auch wenn er es selbst nie gesprochen hat. 

Herr Bezold, Sie hatten ja auch das Privileg, mit Fischer schachlich zu arbeiten. Zu dieser Zeit waren Sie ja ein junger und emporsteigender Spieler. Wie war diese Zeit? 

GM Michael Bezold: Damals wohnte ich im Internat in Bamberg und bin jeden Tag nach Hause gefahren. Ich wollte keine Minute verlieren, um Fischer meine Partien zu zeigen und seinen Erzählungen zuzuhören. Ich mag sehr gerne Studien, und viele davon habe ich damals mitgebracht und Bobby vorgelegt. Die meisten hat er direkt vom Blatt gelöst. Wenn nicht, dann ist er auf sein Zimmer gegangen und erst zurückgekommen, wenn er damit fertig war. Er hatte ja keinen Computer und muss das alles alleine geschafft haben. Einmal hat er gesagt: „Im Schach gibt es nichts, was ich nicht verstehe.” Er stand quasi über dem Schach. 

Konnten Sie mal eine Partie gegen Fischer gewinnen? 

GM Michael Bezold: Ich habe in den drei Monaten keine einzige Partie gegen ihn gespielt. Ich durfte nur gemeinsam mit ihm analysieren, aber nicht gegen ihn antreten. Mein Vater kam einmal in den Genuss, aber Fischer bestand darauf, dass ich währenddessen den Raum verlasse. Wahrscheinlich war es deshalb, weil ich die Partie dann hätte nachvollziehen und Rückschlüsse auf sein aktuelles Spielvermögen hätte ziehen können. Bei meinem Vater wusste er: wenn die Partie gespielt ist, dann ist sie weg. 

Wie kam Fischer denn in die Pulvermühle? Angeblich soll er ja öfter den Wunsch geäußert haben, in einem Haus zu wohnen, das wie ein Schachturm gebaut sei. Das traf ja auf die Pulvermühle nicht zu. 

Dr. Thomas Bezold: Sein Aufenthalt war überhaupt nicht geplant. Eines Tages kam Lothar Schmid gemeinsam mit Fischer in die Pulvermühle. Fischer war privat bei Schmid in Bamberg untergebracht. Nach dem Besuch fuhren die beiden dann wieder nach Bamberg zurück. Kurz danach kam ein Anruf von Lothar Schmid bei Michael. Er sollte Fischer in die Pulvermühle rausfahren. Das hat Michael gemacht, und Fischer hat sich bei uns einquartiert. Das Ganze aber ohne konkrete Zeitangabe. Besonders wichtig war Fischer, dass wir Stillschweigen bewahren und keinesfalls die Presse informieren sollten. 

Wie sah denn so ein typischer Tag für Fischer in der Pulvermühle aus? 

Dr. Thomas Bezold: Er hatte seinen ganz eigenen Lebensrhythmus. Teilweise hat er erst nachmittags um drei Uhr gefrühstückt. Das Licht hat bis tief spät in die Nacht gebrannt. Am Anfang haben wir uns Sorgen gemacht. Aber dann haben wir relativ schnell bemerkt, dass er einfach einen anderen Rhythmus pflegt. Andere Hausgäste waren natürlich manchmal etwas irritiert, wenn er sich nachmittags im Gastraum sein Frühstück servieren ließ. Aber das hat ihn nicht weiter gestört. 

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Fischer schien sich in der Pulvermühle wohlzufühlen. War er gewissermaßen in die Familie integriert? 

Dr. Thomas Bezold: Speziell zwischen Fischer und meinem Vater als Gastgeber hat sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Das gleiche gilt auch für Michael, da die beiden auf der schachlichen Ebene einen guten Draht miteinander hatten. Das ging sogar so weit, dass er bei uns am Heiligen Abend mit im Wohnzimmer saß. Gerne hat er auch mal einen Eierlikör im Kreis der Familie getrunken. Dafür war er immer zu haben. 

Wie konnte es denn sein, dass Fischer über die ganze Zeit hinweg nicht erkannt wurde? 

Dr. Thomas Bezold: Fischer hatte ja damals ein völlig anderes Aussehen als in jüngeren Jahren. 1990 war er in seiner äußeren Erscheinung ein ganz anderer Mensch als 1972. Mein Vater hat ihn sogar häufig auf Ausflüge oder auf öffentliche Feiern mitgenommen. Er hat Fischer dann einfach als amerikanischen Gast und Freund vorgestellt. Aber kein Mensch ist auf die Idee gekommen, zu fragen, ob es sich um den Weltmeister Bobby Fischer handelt. 

Auch niemand aus der Schachszene? Die Pulvermühle war ja auch ein Schachlokal. 

Dr. Thomas Bezold: Das ist richtig. Es gab ausgewählte Vertrauenspersonen, die das wussten. Aber das waren handverlesene Freunde der Familie, die von meinem Vater eingeweiht wurden. Irgendwann muss es aber durchgesickert sein. Eines Tages kam ein Stern-Reporter in das Haus (vgl. Podcastfolge mit Sternreporter Thomas Schumann, Anm. d. Red.) und horchte sich um. Bobby hat davon Wind bekommen und ist dann Hals über Kopf abgereist. Das Ganze leider ohne sich zu verabschieden und auf die Familienfreundschaft einzugehen. 

Weiß man denn heute, wer damals dem Stern den heißen Tipp gegeben hat? Hand aufs Herz, Sie wissen es bestimmt. 

GM Michael Bezold: Wir haben Vermutungen, wo das Leck entstanden sein könnte. Aber sicher wissen wir es nicht. 

Zwei Jahre nach seinem Aufenthalt in der Pulvermühle fand 1992 in Serbien die Wiederholung des Showdowns von 1972 statt. Fischer verstieß damit gegen ein UN-Embargo. Die amerikanische Regierung erließ daher Haftbefehl. Fischer wurde dann nach langer Flucht 2004 in Japan verhaftet. 2005 bekam er in Island politisches Asyl, wo er schließlich drei Jahre später starb. Haben Sie ihn später nochmals getroffen? 

Pulvermühle
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GM Michael Bezold: Einmal, und zwar 1994 in Budapest. Er hielt sich damals bei verschiedenen Schachspielern in Ungarn auf, wie der Familie Polgar oder bei Pal Benkö. Fischer hat mich natürlich wiedererkannt und auch nach meinen Geschwistern gefragt. Er erzählte mir vom Fischer-Schach (Chess960), das damals gerade im Entstehen war. Er hat mich gefragt, ob man bei Fischer-Schach rochieren können sollte. Am Anfang war das gar nicht vorgesehen. „Aber die Leute rochieren einfach gerne”, war seine Meinung. So kam es ja dann auch. 

Zurück an den Schauplatz des WM-Matches 1972, den Sie 1997 einmal besucht haben. Welchen Eindruck haben Sie dort gewonnen? 

Dr. Thomas Bezold: Damals kämpfte Michael um seine letzte GM-Norm. Ich habe ihn nach Rejkjavik begleitet, denn brüderlicher Beistand kann in solchen wichtigen Situationen ja gut tun. Wir haben damals die Halle besichtigt, in der der WM-Kampf stattgefunden hatte. Eigentlich waren wir aber ein bisschen enttäuscht. Aus unserer Sicht hat die Stadt Rejkjavik sehr wenig aus diesem Jahrhundert-Event gemacht. Auf dem Rückflug haben wir aber die Idee geboren, ein Großmeisterturnier in der Pulvermühle auszurichten. Das war die Initialzündung für die Internationalen Fränkischen Großmeistertage, die wir in den folgenden Jahren auf die Beine gestellt haben. 

Wie blicken Sie organisatorisch auf diese Turnierreihe zurück? Der Aufwand für ein solches Event ist ja immens. 

Dr. Thomas Bezold: Das ist vollkommen richtig. Im Verbund der Geschwister hatten wir aber eine optimale Ausgangslage. Michael verfügte über die Kontakte in die internationale Schachszene. Dazu hatten wir ein Hotel mit einem sehr schönen Raum, der optimal als Spielsaal für ein Rundenturnier geeignet war. Um namhafte Größen wie Kortschnoi oder Artur Jussupow zu verpflichten, mussten wir natürlich auch Sponsoren an Land ziehen.

GM Michael Bezold: Gegen Kortschnoi zu spielen war immer ein Highlight. Ich habe in drei Turnierpartien gegen ihn immerhin drei Remis geschafft, davon einmal in der Pulvermühle. Daneben war es uns auch immer ein Anliegen, namhafte Damen aus der Weltspitze einzuladen. Im ersten Jahr waren Antoaneta Stefanowa und Zhu Chen dabei. Beide wurden später jeweils Weltmeisterin. 

Sie waren aber nicht nur in der Turnierorganisation tätig, sondern auch als Trainer. Mit nur 28 Jahren wurden Sie zum Bundesnachweistrainer ernannt. Damals war Ihr Ziel, eine Perspektivmannschaft zu entwickeln, die gemeinsam analysieren und besser werden sollte. Waren die jungen Schachspieler damals Einzelgänger? 

GM Michael Bezold: Das war zu dieser Zeit tatsächlich mein Eindruck. Mittlerweile hat sich das komplett geändert, und zwar maßgeblich durch die Prinzengruppe, die dann entstanden ist. Mit den damaligen Jugendspielern wie Arik Braun, Ilja Zaragatski & Co. habe ich mich auch Jahre später immer mal wieder in der Pulvermühle getroffen. 

Zurück zu Bobby Fischer: Mit ironischerweise 64 Jahren starb er in Island. Was ist aus Ihrer Sicht sein größtes Erbe? 

GM Michael Bezold: Für mich besteht seine größte Leistung darin, dass er mehr oder weniger alleine gegen den russischen Apparat gekämpft hat. Sein Ehrgeiz, russisch zu lernen und die russischen Schachzeitschriften zu lesen, um es dann allein mit ihnen aufzunehmen – das ist eine immense Leistung. Mark Taimanov zum Beispiel hat 1971 im Kandidatenturnier 6:0 gegen Fischer verloren. Taimanov war auch in der Pulvermühle und sagte mir, dass er damals eigentlich gut in Form gewesen sei. Das zeigt die Überlegenheit von Fischer. Natürlich ist er ein Stück weit unvollendet, weil er seinen WM-Titel nie verteidigt hat. 

Bei allen Verdiensten gibt es auch kritische Stimmen. Bobby Fischer soll offen den Holocaust geleugnet haben. Besonders frauenfreundlich war er auch nicht eingestellt.

Dr. Thomas Bezold: Das ist ein äußerst bedauerlicher Aspekt in der Biographie von Bobby Fischer. Von seiner weltanschaulichen und politischen Denkhaltung möchten wir uns klar und ohne Wenn und Aber distanzieren. Ich sehe Fischer in erster Linie als Schachspieler. Wir haben ihn auch von einer ganz anderen, menschlichen Seite kennengelernt. In der Summe möchten wir sein Andenken auf seine schachliche Leistung konzentriert sehen. 

Dann gehen wir weiter in der Geschichte Ihres Elternhauses. 2013 hat die Familie Bezold die Pulvermühle nach vielen Jahren im Familienbesitz verkauft. Fällt es nicht schwer, jetzt dort vorbeizufahren und das Haus nur noch von außen angucken zu können? 

Dr. Thomas Bezold: Die Pulvermühle war damals im alleinigen Besitz unseres Bruders Christian. Dass er sich letztlich für den Verkauf entschieden hat, war für den Rest der Familie ein schwerer Schlag. Trotzdem bleibt natürlich ein gewaltiges schachliches Vermächtnis übrig. Vielleicht schreiben wir irgendwann ein Buch darüber, wer weiß. Außerdem haben wir nach der Verlagerung unseres Schachvereins von der Pulvermühle nach Bayreuth dort eine richtige Renaissance ausgelöst. Mich würde es freuen, wenn wir auf dieser Basis mal wieder ein großes internationales Turnier ausrichten würden. 

Das hört sich doch vielversprechend an. Herzlichen Dank für das Interview! 

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