Der Schachdichter

Schachdichter Martin Hahn veröffentlicht einige seiner Gedichte im Schachgeflüster Podcast. Im Oktober 2022 erschien zudem ein Interview von mir mit Martin Hahn im Schachmagazin64.

Hier kommt der Interviewtext

Von der Muse geküsst

Schachdichter Martin Hahn hat bereits über 200 Schachgedichte verfasst. In seinem imaginären Schachclub tummeln sich die skurrilsten Gestalten. | Von Michael Busse 

Schon zu frühen Zeiten war das Schachspiel Gegenstand der Dichtkunst. So gilt beispielsweise das „Einsiedler Schachgedicht“ (ca. 900-950) als das erste schriftliche abendländische Zeugnis des Schachspiels. Aber auch in der Gegenwart gibt es einige Freunde des Schachs, die ihr Lieblingsspiel in Poesieform darbieten. Einer davon ist Martin Hahn aus Stuttgart. Mit seinen Gedichten porträtiert er die Mitglieder seines imaginären Schachvereins und setzt historische Schachpartien in Szene. 

Herr Hahn, Ihr imaginärer Schachclub verzeichnet mehr als 20 Mitglieder. Wer hat Sie zur Gründung dieses Vereins inspiriert? 

Das war Udo Lindenberg. Er hat in seinem Song-Universum diverse Figuren erfunden, zum Beispiel Rudi Ratlos oder Gerhard Gösebrecht. In meinem Schachverein versuche ich, verschiedene Spielertypen darzustellen. Bei meinen Figuren greife ich auf alle möglichen Eigenheiten und Schrullen zurück, die mir irgendwo untergekommen sind. Dazu gehört auch Heinrich Strauß. Heini ist allerdings mittlerweile nicht mehr im Verein, da er rausgeworfen wurde. 

Versicherungsheini

„Ich bin der Heini, sag ruhig du!“
So kam er gleich auf jeden zu,
Als er uns im Klub beehrte
Und mit Weisheit klug belehrte.
Er konnte Schach zwar gar nicht gut,
Doch sein Elan, der machte Mut;
Seine Art war enthusiastisch,
Reden schwang er – ganz phantastisch!
Doch Heini blieb uns reichlich fremd,
Sein Durst auf Schach schien sehr gehemmt;
Siege wollt´ er nie genießen.
Lieber sprach er von Policen,
Fragte nach Versich‘rungsschutz,
Traf uns nur zum Eigennutz,
Wollte kaum am Schachbrett raufen,
Bloß Versich’rungen verkaufen.
Zwei Jahre lang, da ging das gut,
Dann packte den Verein die Wut,
Heini traf sein blaues Wunder:
Unser Vorstand gab ihm Zunder,
Warf den werten Heinrich Strauß
Aus dem Schachklub eiskalt raus!
Übel war dann das Gezeter
Vom Versicherungsvertreter.

Offensichtlich ist das ein straff geführter Schachclub. Hat der auch einen Namen?  

Als ich mit dem Kreieren der Gedichte für diesen Klub begann, hatte ich mir dafür die Bezeichnung „Chicken Chess Club“ ausgedacht. Das passt ja zu meinem Nachnamen. Inzwischen haben mir anscheinend drei andere Typen den Namen weggeklaut. Toll, jetzt darf ich mir einen neuen ausdenken. (Chicken Chess Club ist der Name des neuen Schachpodcast mit Jan Gustafsson, Peter Heine Nielsen und Laurent Fressinet, Anm. d. Red.). 

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Wie entsteht eigentlich ein Schachgedicht?

Auslöser kann alles mögliche sein. Am besten mache ich es an einem Beispiel fest. Vor einiger Zeit erzählte mir ein Schachfreund beim Vereinsabend von einem Telefonat, welches er auf der Arbeit mit einem Herrn zu führen hatte, der „Herr Mattfeld” hieß. Mein Schachfreund musste sich während des Sprechens das Lachen verkneifen, da er als passionierter Schachspieler sofort viele Bilder im Kopf hatte, die mit diesem Namen zu tun hatten. Ich habe mir diesen Namen ins Handy notiert und zuhause sofort in mein Notizheft übertragen. 

Und jetzt gehört Herr Mattfeld zu Ihrem Schachverein? 

Absolut, er ist Stammspieler in der ersten Mannschaft. Ich musste mir aber vorher noch überlegen, was die erzählenswerte Geschichte dieses Herrn sein könnte. Irgendwann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Er hat Probleme, das Mattfeld zu sehen, also das Matt zu finden! Der Rest, also das Gedicht aufzuschreiben und Reime zu finden, geschah dann quasi in einem Rutsch. 

Herr Mattfeld

Herrn Mattfeld fällt das Matt nicht ein;
Er starrt gebannt ins Schachbrett rein,
Spürt, der Sieg ist nah wie nie –
Dies wird seine Glanzpartie!
Er rechnet hastig Zug um Zug
An einem Opfer – ist’s genug
Kann er so den Gegner plätten,
Oder kann der sich dann retten
Und verbleibt mit Mehrfigur?
Unerbittlich tickt die Uhr
Und die Zeitnot naht, die böse.
Mattfeld schleudert mit Getöse
Seinen Springer nach f2
Und dann ist die Schlacht vorbei,
Mattfeld hat das Matt gefunden!
– Doch zu spät, um zwei Sekunden.

Sie verfassen nicht nur Schachgedichte, sondern schreiben auch schachhistorische Artikel für das Magazin „Perlen vom Bodensee”. Was war Ihre interessanteste Recherche? 

Die über Markus Kappe. Bei der Jugend-WM 1977 wurde er Vierter. Dabei gewann er gegen Garri Kasparow. In einer Turnierpartie gelang das nur einem weiteren Deutschen, nämlich Robert Hübner. Kappe hörte aber mit 17 Jahren mit dem Schachspielen auf. Mit 26 nahm er sich leider das Leben. Sein Vereinskamerad Dieter Migl sagte mir: „Kappe war zu intelligent für diese Welt.” 

Haben Sie über Markus Kappe auch ein Gedicht verfasst? 

Nein, aber ein anderes Gedicht entstand durch eine Recherche. Für einen Artikel über Dieter Mohrlok habe ich Informationen gesammelt. Mohrlok war Nahschach-Nationalspieler und im Fernschach Einzeleuropameister 1992. Der mit Mohrlok einst befreundete Dieter Migl erzählte mir dabei, wie es früher im Fernschach zuging. Man hatte zwar keine starken Computer, dafür aber andere Schachfreunde bei der Hand, mit denen man gemeinsam die Partien analysierte. Migl verriet mir, dass er bei Mohrloks Partien für die Taktik zuständig gewesen sei. Dieser Satz inspirierte mich zu einem Gedicht. 

Schachgedichte
Zu den Schachgedichten

Ein Fernschachspiel

Ein Fernschachspiel spielt Heinz mit Hans.
Ihr Spiel wird schnell ein heißer Tanz,
Beide Recken, sie erschrecken:
Tausend Züge gilt‘s zu checken.
Heinz fragt Hinz und Hans fragt Pierre:
„Hilf mir, die Partie ist schwer!“
Beide Helfer spielen weiter,
Immer höher geht die Leiter:
Pierre fragt Paul und Hinz fragt Claus:
„Hilf´, ich kenn mich nicht mehr aus!“
Und so sehr sich alle drehen,
Bleibt der Ausgleich stets bestehen.
Am Ende spielt statt Hans und Heinz
Die Nummer zwei der Welt mit eins –
Keiner wird es je erfahren,
Dass das Heinz und Hans nicht waren.

Sie sagten vorhin, dass der Reim fast ganz von selbst kommt, wenn die Geschichte erst einmal ausgedacht ist. Aber wie kommt die Geschichte zustande? 

Als Dichter eignet man sich mit der Zeit einige Techniken und Kunstgriffe an. Zum Beispiel gebe ich gerne den Schachfiguren menschliche Gefühlsregungen. Das hilft mir beim Kreieren und erweitert die Möglichkeiten enorm. Auf diese Weise entstand auch mein Gedicht „Ohne Dame”. 

Ohne Dame

Traurig steht der König ’rum,
Ist vor Schwermut völlig stumm:
Seine Dame kam abhanden!
Eben war sie noch gestanden,
Ihm zur Seite, elegant
Und nun hält sie in der Hand
Jener Gegner, jener blöde!
Ach, wie ist dem König öde..
Sein Turmpaar ruft dem Muffel zu:
„Komm, König, kuck doch nicht so, du!
Deine Dame gab ihr Leben
Für zwei Türme und wir streben
Schon dem Sieg entgegen, schau
Das verdankst du deiner Frau!“
Doch der Trost von seiner Truppe
Bleibt dem König völlig schnuppe,
Siegen ist nicht mehr sein Ziel:
Seine Frau! ist aus dem Spiel!
Er ist nicht mehr zu erheitern
Von den feiernden Begleitern.

Haben Sie auch schon Gedichte über bekannte Schachspieler verfasst? 

Ja, alle bisherigen Weltmeister sind schon verewigt, aber auch viele aktuelle deutsche Spitzenspieler. Gelegentlich dreht sich ein Gedicht auch um eine bestimmte Partie. Als Beispiel nenne ich hier mal Max Euwes berühmte „Perle von Zandvoort“. Oder auch die – nicht ganz so berühmte – Partie von John Owen gegen Paul Morphy. 

Owen ist doch der mit 1. … b6? 

Genau, das Damenfianchetto. John Owen zählte zeitweise zu den besten Schachspielern der Welt. 1858 gewann er eine Schachpartie gegen den amerikanischen Meister Paul Morphy, der damals durch Europa tourte. Owens Sieg gegen Morphy führte zu einem Match zwischen den beiden. Kurioserweise erhielt Owen in jeder Partie den Vorteil der weißen Steine und zusätzlich einen Bauern Vorsprung. Owen machte sich damit freiwillig zum Kaninchen vor der Schlange. Trotz dieser Handicaps gewann Morphy den Wettkampf gegen Owen deutlich mit 6:1. 

Aber die erste Partie gewann Owen? 

Nein, die Gewinnpartie von Owen führte erst zum anschließenden Match. Aber da Morphys Niederlage recht verblüffend war, hat sie mich zu einem Gedicht inspiriert. 

Paul Morphy – John Owen 0-1

Als Morphy nach Europa kam
Und alle auseinandernahm,
Viele Spieler der Top Ten:
Harrwitz, Bird, selbst Anderssen,
Alle schachlich starken Meister,
Die Elite großer Geister,
Bot ihm einer Widerstand:
Owen schlug ihn ganz entspannt,
Brachte mit den schwarzen Steinen
Meister Morphy hart zum Weinen,
Spielte cool und ganz bequem
Erstens b6, sein System –
Ohne Warm-up, frei vom Fleck
Fegte Owen Morphy weg!

Morphy-Owen 0:1, London 1858. Owen fand hier mit 33. …h5! die stärkste Fortsetzung, um die Stellung ausgeglichen zu halten. 

Haben Sie Vorbilder als Schachdichter?

Gedichte von anderen Schachdichtern habe nicht explizit besorgt oder gelesen. Wenn ich in diesem Bereich irgendwelche Vorbilder benennen sollte: Ich habe mich eher an humoristischen Versen, zum Beispiel von Heinz Erhardt, Erich Kästner oder Joachim Ringelnatz orientiert.

Gibt es denn Ihre 200 Schachgedichte irgendwo zum Nachlesen?  

Einige Werke veröffentliche ich zurzeit im Schachgeflüster Podcast. Ich lese die Gedichte selber vor, was mich etwas Überwindung kostet. Außerdem spiele ich auch mit dem Gedanken, einen Band mit Schachgedichten zu erstellen. Dazu fehlt mir aber noch die passende Gelegenheit. Unter meinem Pseudonym Nathan Rihm habe ich jedoch schon zwei allgemeine Gedichtbände herausgegeben. Die Titel lauten „Wirf mich ins Aquarium“ (2009) und „Ein Hund im Pool schwimmt schnell heran“ (2016). 

Welche Gedichte oder Projekte stehen als nächstes an? 

Das kann man nie genau sagen. Gerade bei den historischen Artikeln findet sich die wahre „Hauptgeschichte“ oft erst, wenn ich schon mitten in der Recherche bin. Ich lasse mich also selber überraschen. 

Vielen Dank für Reim und Zeit
und für Ihre Freundlichkeit!

Sehr gerne. 


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