Susan Namangale

Im Mai 2022 interviewte ich Susan Namangale, die Präsidentin des Schachverbandes von Malawi (Afrika). Im August 2022 erschien dann die Zusammenfassung des Interviews im Schachmagazin64.

Hier kommt der Interviewtext:


SUSAN NAMangale, die queen of lilongwe

Susan Namangale ist die einzige weibliche Präsidentin eines afrikanischen Schachverbandes. In ihrem Heimatland Malawi hat sie sich in der gesamten Sportwelt einen Namen als erfolgreiche Führungspersönlichkeit gemacht. Michael Busse hat sie anlässlich des „Year of Woman in Chess” für den FIDE Podcast interviewt.

Frau Namangale, Sie leben in Malawi, einem afrikanischen Land. Können Sie uns Ihre Heimat etwas näher beschreiben?
Gerne. Ich bin sehr stolz darauf, aus Malawi zu kommen. Malawi wird auch „the warm heart of Africa” genannt, wegen der Freundlichkeit seiner Menschen. Unser wunderschöner Malawisee mit seinen sauberen Stränden ist der neuntgrößte See
der Welt. Ich komme aus Lilongwe, der Hauptstadt. Lilongwe ist absolut liebenswert. Der Lebensstil dort ist sehr entspannt. Vor allem aber ist Malawi ein friedliches Land.

Ihre schachliche Laufbahn begann angeblich mit einer Taschengeldspende.
Es freut mich, dass Sie diese kleine Geschichte kennen. Das führt mich über dreißig Jahre zurück. Eines Tages kam meine Schwester von der Schule mit einem Schachbrett nach Hause. Von dieser Sekunde an war ich im Schachfieber. An der
High School gab es dann einen Schachclub mit fünf Kindern, der aber nur über ein einziges Schachbrett verfügte. Ich dachte mir: „Alle Kinder müssten Schach spielen dürfen.” Darum entschied ich, von meinem kleinen Taschengeld zwei weitere Schachbretter zu kaufen und der Schule zu spenden.

Im Leben ist es eben wie im Schach: bisweilen muss man etwas opfern, um die Dinge voran zu bringen. Aber lassen Sie uns in die Gegenwart springen. Sind Sie zusammen mit dem Team von Malawi bei der Schacholympiade in Indien vertreten?
Ja, natürlich. Unsere Mannschaft steht, und wir freuen uns schon, dabei zu sein. Durch COVID-19 sind viele große Events in den letzten Jahren ausgefallen. Alle Spielerinnen und Spieler sind deshalb ganz besonders heiß darauf, bei der Olympiade mitzumachen.

Sie sind ja nicht nur als Schachfunktionärin tätig, sondern haben auch 2019 die nationalen Meisterschaften der Frauen in Malawi gewonnen. Wie steht es zurzeit um Ihr eigenes Schachspiel?
Es ist nicht immer ganz einfach, selber Schach zu spielen, wenn man gleichzeitig in der Organisation tätig ist. Als bei mir das Familienleben an Bedeutung gewann, habe ich mich entschieden, mit dem Spielen aufzuhören. Das änderte sich erst, als ich Verbandspräsidentin wurde. Damals war ich unzufrieden mit der Anzahl an Mädchen und Frauen. Aus diesem Grund begann ich wieder, aktiv zu spielen, damit ich als Präsidentin ein Vorbild sein kann. 2019 war mein erster Wettkampf nach zwölf Jahren. Überraschenderweise wurde ich gleich nationale Meisterin. Von da an begannen immer mehr Frauen und Mädchen mit dem Schachspiel.

Wie wurden Sie zur Präsidentin des malawischen Schachverbandes? Sie sagten in einem Interview, der Posten sei Ihnen nicht gerade auf dem Silbertablett serviert worden.
Ja das stimmt, ich musste dafür wirklich kämpfen. Als die Amtszeit des vorherigen Präsidenten auslief, entschied ich mich zu einer Bewerbung. Wir hatten einen harten Wahlkampf. Es gab durchaus auch frauenkritische Bemerkungen. Aber die meisten Männer konnte ich von mir überzeugen. Das sage ich übrigens auch anderen Frauen, die eine Führungskarriere hinlegen möchten: Du musst den Männern klarmachen, dass du in der Lage bist, abzuliefern. Dann werden sie dich auch
unterstützen.

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Was waren die bisherigen Highlights Ihrer Amtszeit als Verbandspräsidentin?
Einer der Höhepunkte war sicherlich die Schacholympiade 2018 in Batumi, Georgien. Das war ein wunderbares Erlebnis. Für mich persönlich stand im Vordergrund, Leute kennenzulernen. Solche Veranstaltungen sollte man immer auch
zum Netzwerken nutzen. Wir hatten dort aber auch einfach sehr viel Spaß als Team.

Letztes Jahr richtete Malawi erstmals die afrikanischen Einzelmeisterschaften aus. Werten Sie das Turnier als Erfolg, auch wenn es Restriktionen durch das Coronavirus gab?
Absolut. Rückblickend war das ein weiterer Meilenstein, auf den ich sehr stolz bin. Anfangs musste ich mir erst einmal die Rückendeckung der Regierung einholen, um die Meisterschaften überhaupt ausrichten zu dürfen. Insgesamt nahmen 93 Spieler aus 17 Nationen teil. Wir hatten einen Frauenanteil von 34 Prozent, was herausragend ist. Ich bekam von vielen Spielerinnen und Spielern Feedback, dass dies die besten afrikanischen Meisterschaften aller Zeiten waren. So etwas zu hören ist natürlich schön.

Bei den Frauen gewann WIM Jesse February aus Südafrika, die bei uns als Streamerin recht bekannt ist. Welche Rolle spielt sie für das Schach in Afrika?
Sie ist zweifellos eine tolle Persönlichkeit. Mit ihrer Arbeit promotet sie das Schachspiel, besonders bei den Mädchen. In Südafrika hat sie damit schon beachtliche Erfolge erzielt.

Bei Ihrer Kandidatur 2018 haben Sie das Schulschach als wichtiges Handlungsfeld ausgerufen. Wie weit sind Sie in der Umsetzung gekommen?
Die Förderung des Schulschachs bildete in der Tat eines meiner Wahlversprechen. Ich selbst habe Schach ja auch über die Schule gelernt. Ich glaube, dass jedes Kind das Privileg haben muss, Schach lernen zu dürfen. In vielen Schulen haben wir
Schach als festen Bestandteil eingeführt. Dazu haben wir viele Lehrer ausgebildet, die jetzt grundlegenden Schachunterricht geben können. Wir merken den Erfolg bei den Schulschachmeisterschaften. Die Teilnehmerzahlen sind dort von 50 auf 500 angestiegen. Natürlich besteht immer noch Verbesserungspotenzial.

Susan Namangale

Wie wollen Sie dieses Potenzial heben?
Aktuell betreiben wir Lobbying bei unserem Kultusministerium. Wir wollen dort das Bewusstsein stärken, dass Schach nicht nur ein Spiel ist. Man kann Schach wunderbar als Tool für Erziehung einsetzen, um die politischen Führer und
Unternehmer von morgen mit entsprechenden Fähigkeiten auszustatten. In der Regierung gibt es übrigens auch einige Schachspieler. Das hilft, weil diese Leute bereits von den positiven Eigenschaften des Schachspiels überzeugt sind. Dazu
kommt übrigens noch ein Vorteil: Schach ist ein preiswertes Spiel. Es flächendeckend in Schulen einzuführen, kann sich auch ein Land wie Malawi leisten.

Dieses Jahr stehen wieder Präsidentschaftswahlen im malawischen Schachverband an. Warum treten Sie nicht mehr an?
Tja. Das ist eine schwierige Frage. In Zukunft möchte ich mich mehr auf Themen wie Sportentwicklung und Breitensport fokussieren. Ich habe eine Schachakademie gegründet, mit der ich vor allem benachteiligte Kinder erreichen möchte. Zum
Beispiel will ich gerne ein Schachangebot in Jugend- und Waisenhäusern etablieren. Ich werde aber der Schachverwaltung nicht verloren gehen. Zumindest habe ich meine Kandidatur als Präsidentin der Zone 4.5 erklärt. Diese Organisation repräsentiert den Schachsport in zehn afrikanischen Ländern. Ich werde also das malawische Schach weiterhin unterstützen.

Wie groß ist denn die Geschlechterkluft im afrikanischen Schach?
Die Kluft ist recht groß. Nur 20 Prozent der registrierten afrikanischen Spieler sind Frauen. Die Teilhabequote an Turnieren und Lehrgängen ist nach wie vor sehr niedrig. In ganz Afrika gibt es nur fünf Großmeisterinnen (WGMs). Ich bin mir sicher,
dass das gesteigert werden kann. Das gleiche betrifft Schiedsrichterinnen und Positionen in der Administration. Deshalb finde ich es auch gut, dass die FIDE dieses Jahr zum Frauenschachjahr erklärt hat. Das hilft ungemein. In vielen afrikanischen Ländern gibt es derzeit jede Menge Initiativen speziell für Frauen und Mädchen.

Was muss konkret getan werden, um mehr Frauen und Mädchen an das Schachspiel heranzuführen?
Das Heranführen ist gar nicht das Problem. Es beginnen recht viele Mädchen mit dem Schach, hören dann aber wieder auf. Wir Schachfunktionäre müssen herausfinden, was die genauen Gründe dafür sind. Und dort müssen wir ansetzen.
Darüber hinaus sollten wir mehr Turniere anbieten, die sich speziell an Mädchen und Frauen richten. Wir müssen Schachspielerinnen als Vorbilder hervorheben und stärker bekannt machen. Und ganz allgemein brauchen wir eine frauenfreundliche Atmosphäre bei allen Veranstaltungen mit Schachbezug. Frauen müssen sich willkommen fühlen dürfen.

Manchmal ist genau das Gegenteil der Fall. Welchen Rat haben Sie für Frauen, die sich bei einer Schachveranstaltung unangemessen behandelt oder sexuell diskriminiert fühlen? Zuletzt gab es einen Vorfall beim Turnier in Rejkjavik.
Sobald Frauen irgendeine Form von Belästigung erfahren, sollten sie das dem Veranstalter melden. Dazu gehört natürlich eine Portion Mut. Solche Vorfälle passieren leider immer wieder. Die meisten davon bleiben unter der Decke. Die FIDE muss Richtlinien erlassen, die allen Schachspielern auf der Welt klar machen, dass so etwas nicht erwünscht ist. Das ist inakzeptabel und muss gemeldet und geahndet werden.

Vermutlich gibt es auch unbeabsichtigte Diskriminierung, allein durch die Wortwahl. Zum Beispiel die Frage „Wie konntest du gegen ein Mädchen verlieren?”
Als ich für die Präsidentschaft kandidiert habe, gab es auch derlei Bemerkungen. „Schach ist nichts für Frauen”, hieß es damals unter anderem. Aber als Frauen müssen wir uns diesen Dingen entgegenstellen. Das Gute ist ja, dass es nur einige
wenige Männer sind, die solchen Unfug von sich geben. Manchmal sieht das dann so aus, als wären alle Männer so. Das stimmt aber nicht.

Sie haben noch eine weitere Rolle als Funktionärin, nämlich als Mitglied der FIDE-Frauenkommission. Welche Pläne gibt es in der FIDE, um das „Year of Woman in Chess” weiter voranzutreiben?
Ich bin sehr gerne in dieser Kommission aktiv. Wir haben zum Glück ein gewisses Budget für unsere Aktivitäten. Damit werden wir weltweit Projekte finanzieren, mit denen die Geschlechterkluft weiter überbrückt werden soll. Dazu gehören zum Beispiel Onlineturniere wie das Queens´ Festival. Bei der Olympiade werden wir einen speziellen Pavillon aufstellen und dort besondere Projekte und Aktivitäten zur Frauenförderung im Schach präsentieren. Es ist großartig zu sehen, dass diese Bemühungen bereits erste Früchte tragen.

Mal eine ganz andere Frage: Kennen Sie eigentlich die Queen of Katwe?
Ja klar, sie heißt in Wirklichkeit Phiona Mutesi. Ich habe sie zwar noch nicht von Auge zu Auge getroffen, aber zumindest virtuell mit ihr gesprochen. Ihre Geschichte ist sensationell. Sie hat sich aus einer sehr ärmlichen Herkunft dank des
Schachspiels nach oben gearbeitet. Wir nutzen ihre Story dazu, um Mädchen zu inspirieren. Sie ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Schach als Mittel genutzt werden kann, um ein besseres Leben zu erlangen. Ihr Weg muss kein einmaliger sein.

Eine andere bekannte afrikanische Schachpersönlichkeit ist Tunde Onakoya aus Nigeria. Er betreibt dort das karitative Projekt „Chess in Slums”. Wie bewerten Sie sein Engagement?
„Chess in Slums” ist eine großartige Initiative. Sie trainieren dort benachteiligte Kinder in den Armenvierteln und verbessern dadurch deren Lebensqualität. Und die Kinder spielen inzwischen wirklich gutes Schach! Die Idee, die dahinter steht, sollten wir auf andere Länder in Afrika übertragen.

Wann werden wir einen Schachweltmeister aus Afrika haben? Im Damespiel ist der beste Spieler ein Südafrikaner.
Alles was ich sagen kann ist, dass es möglich ist. Aber es gibt noch viel zu tun dahin. Wir müssen unsere Präsenz bei internationalen Turnieren steigern, um uns auf diesem Niveau zu messen. Es ist hilfreich, dass der FIDE-Präsident mitunter
einige unserer Spielerinnen und Spieler mit Wildcards ausstattet. Auf diese Weise können sie an diesen großen Events teilnehmen und wertvolle Erfahrung auf Topniveau sammeln. Spieler wie GM Bassem Amin aus Ägypten befinden sich in der erweiterten Weltspitze.

Als einzige afrikanische Präsidentin eines Schachverbandes nehmen Sie eine Vorbildfunktion ein. Gibt es jemanden, den Sie Ihrerseits bewundern?
Innerhalb der Schachwelt ist es Susan Polgar. Nicht weil sie den gleichen Vornamen trägt, sondern weil ich sie sehr spannend finde.

Warum nicht Judit, sondern Susan?
[Lacht]: Ich weiß nicht, ich mag einfach Susan.

Es liegt bestimmt am Vornamen, geben Sie es ruhig zu…
Ja mag sein, vielleicht liegt es doch daran. Wahrscheinlich weiß sie es nicht, aber sie inspiriert mich wirklich. Und auch sonst gibt es viele tolle Frauen da draußen. Man muss sich einfach nur umsehen. Aber ich bin auch dankbar für alle Männer, die uns Frauen unterstützen. Schauen Sie sich die Queen of Katwe an: ohne männlichen Beistand wäre sie völlig hilflos gewesen.

…sagt die Queen of Lilongwe. Vielen Dank für das Interview und für Ihr großartiges Engagement, Susan Namangale!

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