Was ist los im US-Schach?

Randy Bauer

Im US-Schachverband gibt es gewaltige Unruhen. Während beim Deutschen Schachbund vor allem die finanzielle Situation zu Verstimmungen führt, geht es bei US Chess um noch mehr. Verbandspräsident Randy Bauer (Foto: US Chess) sieht sich aktuell Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Auf change.org kursiert derzeit eine Petition, die die Absetzung von Bauer zum Ziel hat. Kritiker werfen ihm vor, sich nicht aktiv genug an der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch zu beteiligen und stattdessen die Opfer zu beschimpfen.

Zum Hintergrund: Die US-amerikanische Schachaktivistin WGM Jennifer Shahade (hier im FIDE-Podcast-Interview) machte im Februar 2023 ihre Missbrauchsvorwürfe gegen GM Alejandro Ramirez öffentlich. Bereits mehrfach habe sie den US-Schachverband und den Schachclub von St. Louis über sexuelles Fehlverhalten von Ramirez informiert. In der Zwischenzeit hätten sich mehrere Frauen mit ähnlichen Erfahrungen an sie gewendet – der Spiegel berichtete.

Anfang September 2023 trat Jennifer Shahade Shahade aus dem US-Schachverband aus. Zudem trat sie von ihrer Rolle als „Director of US Chess Women“ zurück. Sie trug vor, dass der Verband sie mit Feindseligkeit statt Unterstützung behandelt habe und dass sie ständig verharmlost oder ignoriert worden sei, wenn sie ihre Vorwürfe gegen Ramirez vorbrachte. Genaueres führt sie in ihrem „Resignation Letter“ auf.

Wie gering der Wille des US-Verbandes als auch des Schachclubs St. Louis an einer Aufklärung der Thematik offenbar ausgeprägt ist, war auch auch einer ausführlichen Stellungnahme von lichess vom 10. August („Break the silence“) zu entnehmen. Darin verkündete lichess, aus diesen Gründen die Zusammenarbeit mit beiden Institutionen zu beenden.

Zuspruch erhält Shahade nun auch u.a. von Großmeister Ben Finegold. Der durch seinen YouTube-Kanal bekannte Lautsprecher erklärte ebenfalls seinen Austritt aus dem US-Schachverband und forderte: „Randy Bauer must resign„.

Die Forderung ist mehr als ernst gemeint, auch wenn Finegolds Erläuterungsvideo etwas skurril daherkommt.

Klar ist: Als Präsident verantwortet Bauer die (fehlenden) Konsequenzen des Fehlverhaltens von Ramirez durch den Verband. Bauer habe es, so Shahade, versäumt, den Vorwürfen nachzugehen und Konsequenzen zu ziehen. Unter anderem sei Ramirez noch im Jahr 2022 vom US-Schachverband mit der Betreuung eines Schachkaders beauftragt worden, obwohl die Organisation schon von den Vorwürfen wusste. Bauer seinerseits wirft Shahade vor, die Einreichung einer formalen Beschwerde in der Sache Ramirez verweigert zu haben – was diese bestreitet.


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Die Steigerung der Frauenquote im Schach kann jedenfalls nur gelingen, wenn Frauen sich wohl fühlen und Schachturniere einen Ort der Sicherheit bieten. Umso schlimmer ist, dass der Rall Ramirez kein Einzelfall ist. Auch Blindsimultanweltrekordler Timur Gareyev sieht sich Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt, wenngleich dieser sie bestreitet. Dass solche Vorwürfe im Einzelfall auch unberechtigt sein können und der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt, macht die Sache komplizierter, rechtfertigt aber nicht den unterlassenen Versuch der Aufklärung.

So sieht es auch der in der internationalen Schachszene durch seinen „Perpetual Chess Podcast“ bekannte Ben Johnson. Auf Twitter teilte er mit, die Rücktrittspetition unterschrieben zu haben, und brachte die Verantwortlichkeit des Verbandspräsidenten auf den Punkt:

Ich habe diese Petition unterzeichnet. Ich weiß es zu schätzen, dass der US-Schachvorstand ehrenamtlich arbeitet, und trotz vieler Entscheidungen der letzten Zeit, mit denen ich nicht einverstanden bin, denke ich, dass sie gute Absichten haben. Nichtsdestotrotz sollten wir alle für unsere Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden, und die Belästigung und Beschimpfung derjenigen, die sich für die Opfer einsetzen, ist für einen Verbandsvorsitzenden nicht akzeptabel.

Randy Bauer muss sich noch weitere Vorwürfe gefallen lassen. Kritiker halten ihm despektierlichen Umgang vor. Der Bruder von Jennifer Shahade, Greg, veröffentlichte nun auf Twitter einen (öffentlichen) Facebook-Chat zwischen Bauer und einem gewissen Sean Finn. Zu Finn sagte Bauer u.a. „I don´t give a rats about your amazement„, sinngemäß: „Ich schere mich einen Dreck um deine Verwunderung„. Auf den Vorwurf der unangemessenen Wortwahl hin erwiderte er: „I´ve earned my right to talk to any US Chess member as I please“ – übersetzt: „Ich habe mir das Recht verdient, zu jedem US Chess Mitglied so zu sprechen, wie ich will.

Selbstverständlich blieb auch diese Aussage nicht unkommentiert. So äußerte sich etwa Katie Stone, Mitgründerin der Kinderschachorganisation USAChess:

„(…) Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass Sie, @RandyBauer, bei der vielleicht wichtigsten öffentlichen Reaktion Ihrer Karriere versagt haben. Das wird Sie für immer verfolgen, und das sollte es auch. Nach dem, was ich gesehen, gehört und jetzt gelesen habe, habe ich das Gefühl, dass Sie in keiner Position sein sollten, weder beruflich noch ehrenamtlich, in der Minderjährige oder Frauen von einer Ihrer Entscheidungen betroffen sind.“

Randy Bauer lässt sich jedenfalls nicht beirren. In einer weiteren Nachricht bezeichnete er sein Gegenüber nicht nur als „little clown“, sondern drohte auch mit Enthüllung der Namen von Opfern, die anonym bleiben möchten. Genau so etwas sei der Grund, warum viele Frauen und Mädchen sich nicht trauen, Fehlverhalten ans Licht zu bringen, meint MrDodgy auf Twitter.

Viel wird nun von den Machtverhältnissen abhängen. Bauers bisheriges Auftreten spricht nicht gerade für einen freiwilligen Rücktritt. Wer im US-Verband die Macht hat, ihn gegen seinen Willen vom Stuhl zu entfernen, und wie ein etwaiger Nachfolger sich positioniert, kann von hier aus nicht beurteilt werden. To be continued…


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