Überzeugt vom gesellschaftlichen Nutzen des Schachs – Dr. Gerhard Köhler

Dr. Gerhard Köhler

Dr. Gerhard Köhler ist ein überzeugter Schachförderer. Im August 2023 interviewte ich den Vorsitzenden des Vereins Kinderschach in Deutschland e.V. für den Schachgeflüster Podcast. Nun erscheinen die wichtigsten und prägnantesten Aussagen im Schach-Magazin64:

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Hier kommt der Interviewtext:

Kinderschach in Deutschland

Dr. Gerhard Köhler engagiert sich für die Verbreitung des Schachspiels in Kindergärten und Schulen. ChessBase bezeichnete ihn daher als Schachmissionar. Der Unternehmer ist von der positiven Wirkung des Schachspiels auf die Gesellschaft überzeugt. Köhler pflegte Verbindungen zu Viktor Kortschnoi und Wolfgang Uhlmann und ist Mitglied im Vorstand der Emanuel-Lasker-Gesellschaft. Schachgeflüster-Moderator Michael Busse sprach mit dem 67- jährigen Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Herr Köhler, im Juli dieses Jahres sorgten Sie mit einem offenen Brief an das Präsidium des Deutschen Schachbundes für ein Ausrufezeichen. Darin fordern Sie u.a. mehr Transparenz bei finanziellen Themen und die Stärkung des Breitensports. Was genau hat Sie zu diesem Brief
bewogen?

Mir scheint es wichtig, die Arbeit der ehrenamtlichen Funktionäre mehr anzuerkennen. Wenn ein erfolgreiches Breitensportturnier wie die Deutsche Schach-Amateurmeisterschaft (DSAM) einen erheblichen Aufwand erfordert, dann sollte es akzeptabel sein, separate Beiträge dafür zu erheben.
Mit einem Sonderbeitrag von z.B. 10 EUR pro Teilnehmer, 8 Veranstaltungen und 200 Teilnehmern pro Veranstaltung kann man bereits eine halbe Stelle finanzieren, die solche Veranstaltungen organisiert. So ein enormer Aufwand kann nicht immer ehrenamtlich erbracht werden.

Sie gehen davon aus, dass mehr Transparenz über die Kosten zu einer höheren Zahlungsbereitschaft der Schachspieler führt?
Auf jeden Fall. Man muss sich auch davon verabschieden, dass alles kostenlos angeboten wird. Wenn ich mir überlege, welchen Aufwand die Organisatoren haben, dann muss das auch finanziell honoriert werden.

Gab es seitens des Schachbundes eine Reaktion auf Ihren offenen Brief?
Frau Lauterbach reagierte sehr schnell, das fand ich auch gut. Ich hatte ihr vorab den Brief geschickt, und sie hat mir direkt geantwortet.

Das heißt, der Inhalt war abgesprochen?
Das nicht. Aber ich denke, es entspricht dem guten Stil, wenn man vorher informiert, was man schreibt.

In Ihrem Brief erwähnten Sie auch die Deutsche Schachjugend. Welche Bedeutung hat das Jugendschach für Sie?
Wir haben über 90.000 Mitglieder im Deutschen Schachbund und ein relativ hohes Durchschnittsalter. Wir sollten uns einen Plan machen, wie wir das Durchschnittsalter senken und den Frauenanteil erhöhen. Das könnte man meines Erachtens in einem Wettbewerb zwischen den Landesschachverbänden gestalten. Ich kenne auch die Probleme in einzelnen Schachclubs mit dem Thema Überalterung. Es muss dringend mehr für die Jugend getan werden.

Der Wert von ehrenamtlicher Arbeit kam in Ihrem offenen Brief auch zur Sprache. Inwiefern war es Ihnen wichtig, das herauszustellen?
Ich bin sehr dankbar, wie viele ehrenamtliche Funktionäre es gibt, die mit einer geringen Aufwandsentschädigung so umfangreiche Arbeit leisten. Ich glaube, das kann man nicht genug würdigen.

Lassen Sie uns auf Ihren Werdegang kommen. Sie waren zwei mal Dritter bei der DDR- Jugendmeisterschaft. Welche Erinnerungen kommen Ihnen an diese Zeit?
Ich hatte eine wohlbehütete Kindheit, allerdings ab dem neunten Lebensjahr ohne Mutti. Ich habe noch alte Plaketten für sportliche Erfolge aus der damaligen Zeit und verbinde damit schöne Erinnerungen. Schach hat mir im Leben viel gegeben. Nach der Schule und dem Armeedienst fing ich
dann ein Studium der Politischen Ökonomie an und promovierte in sozialistischer Volkswirtschaft. Die Hälfte meines Arbeitslebens verbrachte ich in Banken, die andere Hälfte als Unternehmer.

2010 waren Sie Sieger des Deutschland-Cups. Gibt es den eigentlich noch?
Ja, das Turnier heißt jetzt “Cup der Deutschen Einheit” und wird jedes Jahr um den Tag der Deutschen Einheit herum in Wernigerode in Sachsen-Anhalt ausgetragen, mit verschiedenen Wertungsgruppen.

Ein weiterer Erfolg von Ihnen war die Amateur-Weltmeisterschaft 2016, bei der Sie Sieger in der A- Gruppe wurden. Wie läuft so eine Amateur-WM eigentlich ab?
Organisiert wird das von der Amateur Chess Organization (ACO). Die Turniere finden immer in schönen Hotels auf griechischen Inseln statt. Inzwischen gibt es dort auch Seniorenmeisterschaften. Ich kann nur empfehlen, dort teilzunehmen, weil man so Schach ganz schön mit Urlaub verbinden kann.

In Ihrem Wikipedia-Eintrag steht: “Köhler gilt als ehrgeizig und zielstrebig. Durch Schach in jungen Jahren lernte er vernetzt zu denken und setzt dies im Wirtschaftsleben und bei der ehrenamtlichen Arbeit ein.” Trifft das aus Ihrer Sicht zu?
Ich würde das so sehen, ja. Aus der Vergangenheit heraus weiß ich, dass es ohne bestimmte Entscheidungen keinen Erfolg gegeben hätte. Wenn ich 2006 bei der Firma ORWO Net nicht die Grundsatzentscheidung getroffen hätte, ein Fotobuch aus digitalen Daten zu produzieren, würde es
die Firma heute nicht mehr geben. Und das ist doch im Schach genauso: Sie wissen nicht, was der Gegner zieht. Sie können es ahnen oder Varianten berechnen, aber Sie müssen Entscheidungen treffen und dazu auch stehen.

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Sie hatten Kontakt zu Viktor Kortschnoi und holten ihn auch nach Deutschland. Wie kam das zustande?
Das fing 2012 an. Ich war Mitglieder der Lasker-Gesellschaft, und über diese Kontakte lud ich Kortschnoi nach Leipzig ein. Wir besuchten auch das Schachmuseum in Löberitz. Daraus entstand dann eine Freundschaft. Ein Jahr später flogen wir mit unseren beiden Frauen in seine Geburtsstadt
nach Sankt Petersburg. Da saß er schon im Rollstuhl. Ich besuchte ihn regelmäßig in seinem Altenpflegeheim bei Zürich, und wir spielten unendlich viel Schach. Es ist mir wirklich eine große Freude, mit Viktor die letzten vier Jahre seines Lebens teilweise gemeinsam zu verbringen.

Hatten Sie im Schach eine Chance gegen ihn?
Viktor war natürlich am Ende nicht mehr so stark wie früher. Ich will nur eine Sache erzählen: Als er 2012 nach Leipzig kam, wollten wir abends spielen. Ich stellte für jeden von uns fünf Minuten ein. Viktor schaute mich an und stellte meine Uhr auf zehn Minuten. Nachdem ich zwei Partien gewonnen
hatte, stellte er auch meine Uhr schnell wieder auf fünf Minuten zurück. Danach verlor ich dann kräftig.

Trotzdem Hut ab! Wie haben Sie ihn als Person erlebt? Er galt als verschroben, vor allem wenn man an die WM 1978 gegen Karpov mit der Joghurt-Geschichte denkt. Außerdem soll er kein besonders guter Verlierer gewesen sein.
Wenn er verlor, hat er schon mal Figuren vom Brett gefegt. Ich hob sie dann gerne wieder auf, ich bin da tolerant. Aber ich fand ihn einen sehr liebenswürdigen Menschen, wobei wir uns vor allem über Schach definierten.

Ein anderer Name ist Wolfgang Uhlmann, der erfolgreichste Spieler der DDR. Wie kamen Sie mit ihm in Kontakt?
2014 wollte ich in Leipzig einen Wettkampf zwischen Kortschnoi und Spasski veranstalten. Spasski sagte aus gesundheitlichen Gründen ab, und für ihn sprang Uhlmann ein. Ich besuchte Uhlmann später auch öfters in seinem Zuhause in Dresden, wo wir dann an seinem legendären Schachtisch
spielten.

Was ist das für ein Schachtisch?
Bei der Schacholympiade in Havanna 1966 erhielten alle Spieler am ersten Brett einen Schachtisch von Fidel Castro, mit Armlehnen und weichem Leder. Die Figuren waren mit Metall beschwert. Das war richtig vorzüglich.

Es gibt neuerdings auch einen Wolfgang-Uhlmann-Förderverein. Haben Sie mit dem auch zu tun?
Ja, dort bin ich Ehrenmitglied und unterstütze die Aktivitäten über die Schachstiftung. Wolfgang Uhlmann in Ehren zu halten finde ich gut.

Was bewegt Sie denn, bei der Emanuel-Lasker-Gesellschaft als Vorstandsmitglied mitzuarbeiten?
Die Lasker-Gesellschaft ist ein Bildungsverein, der das Schach als Kultur- und Bildungsgut verbreiten möchte. Außerdem soll das schachliche und kulturelle Erbe von Emanuel Lasker als einzigem deutschen Schachweltmeister bewahrt werden.

Hin und wieder gibt es Kritik an Lasker: Er sei nur deshalb 27 Jahre lang Weltmeister geblieben, weil er Herausforderungen wie z.B. von Rubinstein und Capablanca abgelehnt habe. Tut das der Bedeutung von Lasker irgendeinen Abbruch?
Überhaupt nicht. Lasker war ja nicht nur Schachspieler, sondern publizierte auch viel in Philosophie und Mathematik. Er war ein Intellektueller und eine ungeheure Persönlichkeit, der mit Einstein befreundet war und viel in der Gesellschaft bewegte.

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Im Juni gab es eine Aktion der Lasker-Gesellschaft unter dem Namen “Chess4Refugees”. Was war der Hintergrund dieses Events?
Das war eine Benefizveranstaltung, bei der auch Geld gespendet wurde zur Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund. Dr. Helmut Pfleger und Bahnchef Dr. Richard Lutz spielten Simultan gegen Kinder und Erwachsene. Ich konnte das Projekt Kinderschach vorstellen. Insgesamt
war das eine schöne Sache.

Ihr Herzensthema ist das Kinderschach. Warum ist es Ihnen ein Anliegen, Kinder mit Schach in Berührung zu bringen?
Es gibt verschiedene Gründe, warum es wichtig ist, Kindern die Grundzüge des Schachspiels beizubringen. Ein Grund ist altersübergreifende Kommunikation. Fußballspielen zwischen einem 8-Jährigen und 80-Jährigen ist wohl schlecht möglich, aber Schachspielen trägt dazu bei, diesen
generationenübergreifenden Kontakt zu realisieren.

Welche weiteren Vorzüge gibt es?
Ich sage immer: Es wird “Schach der digitalen und systemaffinen Demenz” geboten. Schach bildet einen guten Gegenpart gegen dieses unsägliche Ruhigstellen von Kindern mit bewegten Bildern. Zum anderen ist auch die Integration von Menschen mit Behinderungen sehr gut möglich. Das alles ist ein Beitrag zur positiven gesellschaftlichen Entwicklung.

Schach wird momentan auch sehr viel online gespielt. Ist es damit nicht auch selbst der digitalen Demenz erlegen?
Jede neue Technik hat Vor- und Nachteile. Es kommt immer darauf an, wie man damit umgeht. Ich spiele auch online, aber lieber spiele ich ein Turnier Mann gegen Mann. Ich möchte es nicht missen, nach Magdeburg, Bad Wildungen oder einen anderen Ort zu fahren, um Menschen zu treffen, mit
ihnen zu reden und Schach zu spielen.

Im Jahr 2013 gründeten Sie ja den Verein Kinderschach in Deutschland…
Ich war nur einer der Gründer neben dem viel zu früh verstorbenen Präsidenten des Landesschachverbandes Sachsen-Anhalt Dr. Günter Reinemann, sein Nachfolger Andreas Domaske, die langjährige Geschäftsführerin des Vereins Dr. Tanja Pflug und weiteren Personen.

Was ist das Prinzip des Vereins?
Wir wollen Kindern ab vier Jahren über die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas die Grundzüge des Schachspiels beibringen. Dazu haben wir erfahrene Dozenten und eine bestimmte Methodik. Schachliche Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Der Verein hat Mitglieder, die die Idee
unterstützen, und pro Bundesland einen Beauftragten zur Mitgliedergewinnung. Wir sind übrigens nach ISO 9001 zertifiziert und arbeiten nach einem Managementhandbuch.

Haben Sie denn einen Überblick, in welchen Kitas in Deutschland derzeit Schach angeboten wird?
Ja, denn es ist wichtig, solche Angebote auch transparent zu machen. Dazu gibt es die Deutschlandkarte auf www.schach.in, die wir mitpflegen. Dort sind nicht nur Vereine, sondern auch Schulschachgruppen und Kitas mit Schachangeboten aufgeführt. Diese Karte ist auch hilfreich, wenn
man mit der Politik über die Förderung von Schach spricht. Politiker fragen immer nach der Nachhaltigkeit: Wie geht es weiter nach der Kita, wo können die Kinder in der Schule spielen? Mit der Karte kann man das schön aufzeigen.

blau = Schachclub, gelb = Kita, rot = Schule

Wie kann man sich als Erzieher oder Erzieherin konkret bei Ihrem Verein schulen lassen?
Wir sind immer interessiert an Clustern. Mindestens zehn Bildungseinrichtungen einer Region müssen zusammenkommen. Nach der Schulung sind die Erzieherinnen in der Lage, das Ausbildungsprogramm über ein Arbeitsleben hinweg durchzuführen. Außerdem gibt es noch ein
Ausstattungspaket. Wir erwarten, dass pro Einrichtung immer mindestens zwei Personen teilnehmen, damit Vertretungsregelungen möglich sind.

Wie finanziert sich die Schulung?
Zehn Prozent davon trägt die von mir gegründete Schachstiftung GK gGmbH. 90 Prozent müssen regionale Sponsoren oder Träger wie Landratsamt oder Stadt beisteuern. Die Erfahrung hat gezeigt: Wenn Sie Dinge kostenlos anbieten, funktioniert das einfach nicht. Es ist also äußerst wichtig, dass vor Ort ein Finanzierungsbeitrag geleistet wird. Auch die Zusammenarbeit mit den regionalen Schachclubs bildet einen Erfolgsfaktor.

Gibt es auch Bedenken, gegen die Sie mit Ihrem Projekt ankämpfen müssen?
Die gibt es natürlich auch. Viele Erzieherinnen äußern zum Beispiel, dass sie keine Kapazitäten für eine zusätzliche Schulung haben. Man muss sich aber einfach mal vor Augen führen, was das für die Kinder bedeutet, wenn sie das Projekt mitmachen. Und auch die Erzieherinnen haben Vorteile: Die
Kinder sind ruhig, lernen soziales Verhalten, und sie konzentrieren sich.

Bekommen Sie denn Feedback von Einrichtungen, in denen Schach nach Ihrer Methodik gelehrt und unterrichtet wird?
Alle zwei Jahre schicke ich an hundert Einrichtungen einen Kinderschachkalender mit einem strukturierten Fragebogen. Dadurch bekomme ich mit, wie das so wirkt. Natürlich gibt es auch Ausfälle, wenn etwa durch Krankheit das Projekt nicht weitergeführt wird, aber unterm Strich ist das Feedback sehr positiv. Wenn man sieht, wie die Kinder mit Schach umgehen, dann geht einem das Herz auf.


Aufruf zur Unterstützung
Der Verein Kinderschach in Deutschland e.V. sucht aktuell weitere Beauftragte zur
Mitgliedergewinnung bzw. Stellvertreter in zehn Bundesländern. Ziel ist es, das Anliegen des Vereins
noch mehr in die Breite der Gesellschaft zu bringen. Interessierte melden sich bitte bei der
Geschäftsführerin des Vereins Melanie Marek unter info@kinderschach-in-deutschland.de.


Ist es besser, Erzieherinnen im Schach auszubilden als umgekehrt, also Schachspielern Pädagogik beizubringen?
Ich halte das Bildungskonzept über Erzieherinnen für besser. Bei Kindern, die mit Schach anfangen, kommt es nicht auf die Elozahl an. Entscheidend ist die Fähigkeit, mit den Kindern umzugehen. Gescheiter ist daher das Modell, über die Erzieherinnen zu gehen.

Neben dem Verein Kinderschach in Deutschland e.V. betreiben Sie noch eine Stiftung. Was ist deren Aufgabe?
Die Stiftung hat das Ziel, Geld aufzunehmen, um das Projekt Kinderschach in Deutschland und weitere Aktivitäten wie z.B. das Viktor-Kortschnoi-Gedenkturnier von Artur Jussupow zu fördern. Mit der Stiftung organisiere ich das Format “Schach und Deutsche Einheit”, in dem ich Schach mit Politik, Wirtschaft, Lernerfolg, Philosophie, Psychologie und Soziologie verbinde. Es findet jedes Jahr in einem anderen Bundesland rund um den 3. Oktober statt. Meine Vision ist, dass dieses Projekt Kinderschach bundesweit umgesetzt wird.

Viel Erfolg dabei und herzlichen Dank für das Gespräch.

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