Schach wird olympisch – als eSport

In der Juli-Ausgabe 2023 des Schach-Magazin64 veröffentlichte ich einen Artikel zu Schach als eSport.

Hier der Artikel als pdf:

Und hier der Text meines Artikels:

Schach wird olympisch – als E-Sport

Der Schachsport hegt schon lange den Traum, olympisch zu werden. Bei der Olympiade 2000 in Sydney spielten Vishy Anand und Alexei Shirov ein Demo-Match, doch die Übernahme als feste olympische Sportart blieb aus. Auch der Versuch, Schach ins Programm der Olympiade 2024 in Paris aufzunehmen, blieb erfolglos. Symbolträchtig wäre dies mit Sicherheit gewesen, wurde doch die FIDE genau 100 Jahre zuvor ebenfalls in Paris gegründet. 

Doch nun hat der Schachsport die Aufnahme ins olympische Programm geschafft – und zwar als E-Sport. Schach ist neben acht weiteren Disziplinen ein Teil der sogenannten Olympic Esports Series vom 22.-25. Juni in Singapur. 

Welche Sportarten sind bei der Olympic Esports Series dabei? 

Die weiteren E-Sportarten neben Schach sind: 

  • Bogenschießen
  • Baseball
  • Radfahren
  • Tanzen
  • Motorsport
  • Segeln
  • Taekwondo
  • Tennis

In der E-Sport-Szene gibt es in Anbetracht der Auswahl der Sportarten Kritik für das Internationale Olympische Komitee (IOC). Etablierte Videospiele wie Minecraft, League of Legends oder Fortnite fehlen komplett im Programm. Die Liste liest sich eher wie eine virtuelle Variante klassischer Sportarten. 


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Ist E-Sport eigentlich Sport? 

Nein, E-Sport ist nicht als Sport im rechtlichen Sinne anzusehen. Es fehlt dabei an der “eigenen, sportartbestimmenden motorischen Aktivität”, die der Deutsche Olympische Sportbund als Voraussetzung für eine Sportart verlangt. 
Dass das Brettschach trotz der fehlenden eigenmotorischen Aktivität als Sport gilt, ist eine historisch begründete Ausnahme. Geregelt ist das in § 52 der Abgabenordnung, in der ausdrücklich festgehalten ist: “Schach gilt als Sport”. 

Ist Schach überhaupt E-Sport? 

Ja. Der Begriff E-Sport  bezieht sich auf den Wettkampf in Videospielen oder elektronischen Spielen. Obwohl Schach ein physisches Brettspiel ist, hat es in den letzten Jahren einen digitalen Aufschwung erlebt, insbesondere durch Online-Plattformen und Streaming. Wenn Schach am Computer ausgeübt wird, dann ist es E-Sport. 

Welche E-Sport-Events gibt es im Schach? 

Organisierte E-Sport-Events sind im nationalen Bereich die Deutsche Schach Online Liga (DSOL), die Quarantäneliga auf lichess oder die Deutsche Internet-Schachmeisterschaft. Ob man eine einzelne Onlinepartie schon als E-Sport bezeichnen kann, ist wohl eine Definitionsfrage. 

Auf internationaler Ebene darf die von Magnus Carlsen ins Leben gerufene Champions Chess Tour als Prototyp eines E-Sport-Events gelten. Auch bei der von chess.com organisierten Pro Chess League spielen die Stars vom heimischen Bildschirm aus. Bisher lässt sich aber nicht feststellen, dass E-Sport-Turniere dem klassischen Brettschach den Rang abgelaufen hätten. 

Sind Brettschach und Schach als E-Sport unterschiedliche Disziplinen? 

Bisher nicht. Trotz der Unterschiedlichkeit sind die besten Spieler im Brettschach mehr oder weniger identisch mit den besten Onlineschachspielern. Es bleibt abzuwarten, ob sich spezielle Experten fürs Onlinespiel herausentwickeln werden. Einzelne davon gibt es sicherlich bereits, wie z.B. den amerikanischen GM Daniel Naroditsky. Im klassischen Schach steht er mit einer Elo von 2.618 auf Platz 151 der Weltrangliste, online gehört er zu den Weltbesten. Während des Kandidatenturniers 2022 zockte Naroditsky bis morgens um 5:43 Uhr ca. 250 Hyperbullet-Partien gegen den Turnierteilnehmer Alireza Firouzja. Beim Hyperbullet bekommt jeder Spieler 30 Sekunden Bedenkzeit – für die gesamte Partie! 

Welche Chancen bieten sich für das Schach durch den E-Sport

Eine Vernetzung mit der E-Sportszene könnte dem Schach einen ungeahnten Strom an neuen Spielern erschließen. Nach Angaben der Uni eSports GmbH spielen 71% aller Jugendlichen regelmäßig digitale Spiele. Immer mehr davon haben sich dem Schach zugewandt – dank Corona, Beth Harmon sowie Streamern wie Gotham Chess. Doch noch sitzen sie zuhause alleine vor den Bildschirmen, anstatt die Vorzüge des Schachs im Verein zu genießen. “Generell ist die Schnittmenge zwischen klassischen E-Sport-Akteuren und Schach noch sehr gering”, meint Paul Meyer-Dunker (Foto). Der Präsident des Berliner Schachverbandes ist zugleich Teammanager beim 1. Berliner E-Sport-Club und eine der wenigen Persönlichkeiten im Schach, die sich in beiden Welten bewegen. 

Wer sind die Treiber des E-Sports in Deutschland?

Eine große Rolle spielt die sogenannte Uniliga, die von Studenten gegründet wurde und den E-Sport an Hochschulen organisiert. Schach ist dort neben weiteren Disziplinen wie FIFA und Fortnite fest im Programm. Allerdings fehlt es auf Seiten des klassischen Schachs an Verantwortlichen, die für eine Verzahnung mit den Schachspielern der Uniliga sorgen könnten. Die Stelle des Beauftragten für Hochschulschach im Deutschen Schachbund ist seit Jahren unbesetzt, und der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (adh) hat Schach inzwischen aus der Liste seiner Sportarten gestrichen. 

Welche Zukunft hat Schach als E-Sport? 

Das ist schwierig vorauszusagen. Zuletzt belegte die App chess.com erstmals Platz eins bei den Games des Apple App-Stores. Doch der allgemeine E-Sport steckt derzeit in der Krise, man spricht sogar vom E-Sport-Winter. Einzelne E-Sport-Agenturen haben sich von Schachspielern getrennt, die sie unlängst erst in ihr Team aufgenommen hatten, wie z.B. Hikaru Nakamura. Bisher sieht es aber so aus, als bliebe der Erfolg des Onlineschachs davon unberührt. 

Wie geht es weiter mit Hybridschach?  

Während der Corona-Pandemie wurden hybride Wettkämpfe geboren. Im Unterschied zum reinen Onlineschach versammeln sich dabei Schachspieler an einem gemeinsamen Ort, um gegeneinander (oder gegen Teams an einem anderen Ort) am Computer Schach zu spielen. Das mutet für einen Schachpuristen zunächst absurd an. Denn wozu trifft man sich, wenn man dann doch nur getrennt voneinander auf den Bildschirm starrt? 

Jedoch ist auch eine Schachpartie am Brett nicht gerade gesellig und kommunikativ, und das Spielen am Bildschirm birgt gewisse Vorteile: Keine störenden Geräusche oder Blicke des Gegners, kein Streit über Berührt-Geführt oder Zugwiederholung. Sämtliche Störfaktoren, denen man in einer direkten „physischen“ Konfrontation ausgesetzt ist, werden deutlich reduziert. Im Vordergrund steht mehr denn je zuvor die reine Spielqualität. Und das Cheating-Problem lässt sich durch einen Schiedsrichter vor Ort gut in den Griff bekommen. 

Fazit: 

Schach ist auf dem Weg zu einer etablierten E-Sportart. Das klassische Schach könnte aus einem großen Reservoir an Interessenten schöpfen, wenn es sich mit der E-Sportszene vernetzt, die in Deutschland gerade an den Unis stark im Aufwind ist. Dass sich Brettschach und E-Schach komplett voneinander trennen, ist nicht zu wünschen und auch nicht anzunehmen. Denn Patzer bleibt Patzer, und Matt bleibt Matt – egal ob in 2D oder 3D. 


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