Mein Interview im Schachmagazin 64

Schachmagazin64

Von Schachlegenden und magischen Schachorten

Schach als Podcast – eine interessante Idee. Da muss ein Profi her, oder? Nicht unbedingt, Michael Busse fasste sich ein Herz und etablierte in nicht einmal zwei Jahren ein vielbeachtetes Angebot.

Interview: Stefan Liebig

Dr. Helmut Pfleger, Vlastimil Hort, Daniel King und Artur Jussupow gehören seit Jahrzehnten zum Who-is-who in der Schachszene. Während diese sich in der analogen Welt einen oft auch über die Schachgrenzen hinaus bekannten Namen machten, nutzten Jan Gustafsson, Georgios Souleidis und Lara Schulz die neuen Möglichkeiten der digitalen Medien. Sebastian Siebrecht, Hans-Walter Schmitt und Michael S. Langer hingegen sind über viele Jahre als Organisatoren und/oder Funktionäre bekannt geworden. Was haben sie alle und viele weitere prominente Persönlichkeiten aus der
Schachszene aber gemeinsam? Die Antwort gibt Michael Busse: „Sie und viele weitere durfte ich für meinen Podcast Schachgeflüster interviewen.“

Podcasts boomen – ähnlich wie Schach – in Corona-Zeiten. Seit den Virologen-Podcasts wissen auch immer mehr Menschen, was sich hinter dem Begriff Podcast verbirgt: Es sind jederzeit abrufbare Mediendateien im Internet. Im Fall von Schachgeflüster sind es jeweils ungefähr einstündige
Episoden, die das schachliche Wirken des Interviewten ausführlich durchleuchten. Ein Projekt, das nur ein ausgesprochener Schachexperte und Medienprofi umsetzen kann?

Mitnichten! Denn beides ist Michael Busse eigener Aussage zufolge bei weitem nicht. Wie es dennoch zu der inzwischen über 50 Folgen umfassenden und vor prominentem Namen strotzenden Inforeihe kam, berichtet der 42-jährige Vater zweier Kinder, der in der Nähe von Frankfurt als Jurist bei der Deutschen Flugsicherung arbeitet, im Interview.

Herr Busse, wie kommt man auf die Idee, einen Podcast-Kanal mit Schachinterviews zu starten?
Die Idee entstand noch vor der Pandemie. Bevor ich ins Homeoffice wechselte, hatte ich einen etwa einstündigen Weg zur Arbeit. Da mich das Radioprogramm nervte, fing ich an Podcasts zu hören und weil ich gerne Schach spiele, suchte ich nach Schachangeboten. Es gab aber keine
deutschsprachigen Podcasts zum Thema Schach. Irgendwann hatte ich meinen persönlichen Heureka-Moment und ich fasste den Entschluss: Ich stelle selber einen deutschen Podcast-Kanal auf die Beine!

Sind sie in der Schachszene verwurzelt und haben Sie Medienerfahrung?
Nein, beides nicht. Daher folgten die Zweifel auch recht schnell auf die erste Euphorie. Ich überlegte: Wenn keiner der Tausenden vor mir in der Rangliste stehenden Spieler so etwas macht, dann versuche ich es einfach. Ich habe erst mit 20 Jahren Schachspielen gelernt und bin 2017 erstmals in einen Schachverein eingetreten. Mit knapp 1700 DWZ-Punkten habe ich natürlich einen gewaltigen schachlichen Respekt vor den Meisterspielern. Und da ich auch mit der Podcast- und Interviewtechnik nicht vertraut war, begann ich damit, zu Übungszwecken meine Vereinskollegen zu interviewen.

Das scheint Sie zu mehr motiviert zu haben.
Ja, richtig. Mir machte das von Anfang an Spaß.

Von Vereinskollegen zu den Größen der Szene ist es aber dann doch noch ein Sprung. Wie haben Sie die ersten namhaften Spieler für Ihr Projekt gewinnen können?

Da war erst die große Nervosität und dann die Frage: Was kann Dir schon passieren? Ich stieß dann auf den Namen Johannes Fischer, den Blogger und Schachjournalisten bei chessbase. Und zu meiner Überraschung lachte mich der FM wegen meiner Idee nicht aus, sondern sagte zu, mir für ein
Interview bereitzustehen. Genauso verlief es auch bei IM Christoph Sielecki, der mit Chessexplained eine etablierte online-Plattform betreibt. Ich hatte also zwei tolle Gesprächspartner und damit meine ersten wichtigen Referenzen. Darauf konnte ich aufbauen.

Es folgten mit Ilja Zaragatski, Niclas Huschenbeth und Daniel King schnell auch die ersten namhaften GM. Wie bereiteten Sie sich darauf vor?
Die Recherche im Vorfeld ist für mich das A und O. Als Späteinsteiger habe ich kein über Jahrzehnte aufgebautes Schachwissen. Ich bereite mich auf jeden Gesprächspartner intensiv per Literatur- und Internetrecherche vor und erstelle einen roten Faden für das Interview. Das haut dann im Interview mal besser und mal schlechter hin. Aber auch an der Interviewtechnik arbeite ich stets und bilde mich weiter.

Neben den Interviews machen Sie auch Folgen zu speziellen Themen.
Ja. Bei denen geht es um Schachkultur oder das Schachmuseum Ströbeck. Auch ein Quiz oder die Vorstellung von Internetseiten und magischen Schachorten waren schon dabei. Immer wieder möchte ich auch das wichtige Thema Lern- und Denktechniken aufgreifen – das beschäftigt alle Spieler.

Sie haben also schnell eine gewisse Routine entwickelt?
Einerseits ja, andererseits bin ich noch immer sehr nervös vor den Gesprächen. Denn trotz aller Recherche spreche ich mit Experten, die über einen sehr viel größeren Erfahrungsschatz verfügen. Besonders herausragend unter diesen Experten sind die beiden Großmeister und Fernsehlegenden
Dr. Helmut Pfleger und Vlastimil Hort. Tatsächlich hatte ich enormes Muffensausen, als ich bei den beiden nach einem Interview fragte. Aber
mein Motto „Einfach fragen – was kann schon passieren?“ war erfolgreich. Sie sagten zu. Für mich ganz außergewöhnlich, denn ich kann mich noch sehr gut an ihre WM-Reportagen im WDR erinnern. Und die Gesprächsführung mit ihnen ist einfach, sie brauchen nur Stichwörter und erzählen
mitreißende Anekdoten aus ihren jahrzehntelangen Schachkarrieren.

Ja, das ist immer unterhaltsam, aber gibt es da auch Neues zu erfahren?
Die Rückmeldungen zeigen, dass die Zuhörer fasziniert sind von Geschichten über Dr. Pflegers Blutdruckmessungen bei Schachspielern oder Horts Insiderinformationen zu Fischers berühmtem Läuferopfer im WM-Finale gegen Spasski. Da entwickeln sich oft auch lebhafte Diskussionen.

Das heißt, Sie bieten auch über das Podcastangebot hinaus Diskussionsforen an?
Ja. Die Plattform muss bekannt sein. Reichweite bekommt man über die Social-Media-Kanäle. Schachgeflüster ist mit einer eigenen Homepage, auf podcast.apple.com, Youtube und Facebook vertreten.

Dennoch lief im Falle Horts nicht alles glatt. Was ist passiert?
Ja, leider war die Mikrofontechnik seines Laptops nicht geeignet für das Gespräch. Der Ton war gruselig. Da die Gespräche über Internet stattfinden, lässt sich in so einem Fall auch keine schnelle Lösung finden.

Soweit die Analyse – was zogen Sie daraus für Schlüsse?
Inzwischen schicke ich jedem Gesprächspartner vorab ein Mikrofonset zu. So ist die nötige Qualität garantiert und die Kosten dafür sind überschaubar.

Wie lange brauchen Sie für die Produktion einer Folge?
Ich produziere zwei Folgen im Monat. Für Recherche, Gespräche und Nachbearbeitung nehme ich mir wöchentlich etwa zehn bis zwölf Stunden Zeit und stelle immer wieder fest, dass die Zeit dabei wie im Fluge vergeht.

Was motiviert Sie, so viel Zeit zu investieren?
Da gibt es viele Gründe: Zum einen fühlt es sich für mich wie das Erlernen mehrerer Jobs an – ich bin quasi Interviewer, Tontechniker und Social-Media-Manager in einem. Dann ist es unglaublich abwechslungsreich, diese beeindruckenden Schachpersönlichkeiten kennenzulernen. Außerdem leben wir in einer viel zu schnelllebigen Zeit. Mit den einstündigen Podcasts nehme ich mir die Zeit, einen Menschen oder ein Thema ausgiebig vorzustellen. Das ist auch als Gegenangebot zu den in online-Zeiten immer kürzer werdenden Partien gedacht. Am Brett sind mir übrigens auch die langen Partien die liebsten und bei Mannschaftskämpfen bin ich meistens der Letzte, der fertig ist …


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Schachtermine

Ihr Schachgeflüster betreiben Sie aber nicht aus kommerziellen Gründen?
Nein, ich habe einen interessanten Beruf. Mit Schachgeflüster möchte ich einfach unterhalten und die Faszination des Spiels für Spieler aller Klassen und vielleicht auch für Nichtschachspieler vermitteln.

Wo sehen Sie sich jetzt nach eineinhalb Jahren?
Ich finde es toll, dass ich mir einen solchen Bekanntheitsgrad erarbeiten konnte und dass ich auf diese Weise mitten in der Schachszene angekommen bin.

Bekommen Sie denn Feedback von den Hörern?
Ja, das reicht von Lob über Tipps bis zu gelegentlicher Kritik, die ich aber – wenn sie in sachlicher Form stattfindet – gerne entgegennehme und berücksichtige.

Gab es auch schon problematische Fälle oder gar einen Shitstorm?
Shitstorm nicht, aber zwei Fälle, über die ich mich etwas geärgert habe, weil sie nicht berücksichtigt haben, dass ich eben kein Schachprofi bin – was ich ja nicht verheimliche.

Welche Effekte wünschen Sie sich von Ihrem Podcast für Schach?
Natürlich wäre es toll, wenn wir den aktuellen Schachboom nutzen könnten. Vielleicht kann Schachgeflüster auch dazu beitragen, dass einige neue Spieler beim Schach bleiben. Ich sehe es für Schachspieler übrigens als absolutes Privileg, dass wir unseren Sport im Internet weiterbetreiben
können. Es ist zwar nicht dasselbe wie live, aber immerhin können wir Schach spielen. Ich hoffe aber durchaus, dass der Deutsche Schachbund
diesen Boom auch für sich zu nutzen weiß. Egal, ob online oder live.

Haben Sie eigentlich noch Zeit für weitere Hobbies?
Natürlich nimmt Schachgeflüster viel Zeit in Anspruch, aber ich arbeite daran meistens abends, wenn die Kinder im Bett sind. Ansonsten liebe ich unseren Garten. Hier kann man – wie beim Schach übrigens auch – komplett abschalten und im Hobby versinken.

Wie steht Ihre Familie zu dem zeitaufwändigen Hobby?
Meine Frau findet Schach totlangweilig. Sie hat noch keine Folge gehört. Auch sonst spielt niemand in meiner Familie Schach. Aber ich habe dennoch Rückendeckung.

Dann steht weiteren Folgen ja diesbezüglich nichts im Wege. Gibt es denn genug Gesprächspartner für künftige Folgen?
Oh ja, die Liste ist bereits drei Seiten lang und ich freue mich total, dass auch schon Anfragen von Interviewwilligen bei mir eintrafen.

Wen möchten Sie unbedingt noch vors Mikro bekommen?
Georgios Souleidis sagte: „Wen will der denn noch interviewen? Der hatte doch schon alle!“ (lacht) – Aber so ist es längst nicht: Ein Wunschgast ist Rustam Kasimjanov – der Ex-Weltmeister hat eine nette Ausstrahlung und ist ein außergewöhnlicher Trainer. Auch FIDE-Präsident Arkadi Dworkowitsch gehört zu meiner Liste. Und mein Traumgast ist auf jeden Fall Viswanathan Anand – eine beeindruckende Persönlichkeit, die einen Schachboom in Indien ausgelöst hat. Allerdings möchte ich mir das noch ein wenig aufheben – denn was sollte nach so einem Gesprächspartner noch folgen?

Wir danken Ihnen für das Gespräch, Herr Busse!


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