Desaster in Delhi

In der April-Ausgabe 2023 des Schach-Magazin64 veröffentlichte ich einen Artikel zum Desaster beim Frauen Grand Prix in Delhi.

Hier der Artikel als pdf:

Und hier der Text meines Artikels:

Desaster in Delhi

Beim Frauen Grand Prix in Delhi geriet der Sport in den Hintergrund. Zu der Frage der Teilnahme russischer Spielerinnen kamen noch organisatorische Probleme und Streitigkeiten der Spielerinnen untereinander hinzu. Ein Überblick über die Ereignisse von Michael Busse. 

Unter keinem guten Stern stand der Grand Prix der Frauen, der von Ende März bis Anfang April in der indischen Stadt Delhi ausgetragen wurde. 

Bereits im Vorfeld war das Turnier von der Absage der Muzychuk-Schwestern aus der Ukraine überschattet. Vor Ort zog sich dann auch die kasachische Großmeisterin Zhansaya Abdumalik zurück. Sie warf den Organisatoren vor, nicht vom Flughafen abgeholt worden zu sein. Die vom Veranstalter benannte Kontaktperson war telefonisch nicht erreichbar. 

Weitere Probleme gab es mit dem Hotel. Vier Spielerinnen mussten von 5 bis 8.30 Uhr in der Hotellobby ausharren, weil ihre Zimmer nicht fertig waren. Man bot ihnen Frühstück für 25 € an. Alle hatten Stress mit dem Hotel. Die meisten sollten nach einer Nacht die Zimmer wechseln, während andere um kurz nach 12 Uhr durch Sturmanrufe aus dem Zimmer gejagt wurden, so äußerte sich Elisabeth Pähtz. 

Die organisatorischen Mängel in Indien reihen sich in eine Kette von Ereignissen, die der deutschen Großmeisterin aufstoßen. “Der Grund der Aufregung liegt viel tiefer und fängt mit dem Kandidatenturnier an, geht mit München weiter und hört mit Indien auf.” Die Ärgernisse liegen unter anderem in den geringeren Preisgeldern im Verhältnis zu den Männern sowie insgesamt in der fehlenden Wertschätzung. Zum Ausdruck kam dies zum Beispiel dadurch, dass kein offizieller Vertreter der FIDE in Indien vor Ort war. Ein solcher hätte sicherlich dazu beitragen können, die Gemüter zu beruhigen. 

Nach dem Rückzug von Abdumalik erklärten sich mehrere Spielerinnen solidarisch und baten FIDE-Generalsekretär Emil Sutovsky um eine Verschiebung des Turniers. FIDE-Präsident Dvorkovich entschuldigte sich daraufhin bei den Frauen, bestand jedoch auf einer Fortsetzung des Wettbewerbs. 

Reichlich Drama gab es auch unter den Spielerinnen. Bibisara Assaubayeva, zuvor Teilnehmerin am Karjakin-Z-Turnier in Moskau, entschied sich über Nacht für eine unsägliche Attacke auf ihre Landsfrau Abdumalik. Wenn wir wie Zhansaya auf jede Kleinigkeit reagieren, dann lieber heiraten und Borschtsch kochen.” Rote Bete Suppe anstelle schachlicher Leckerbissen, so also die Empfehlung der amtierenden Blitz-Weltmeisterin auf Facebook. Später entschuldigte sie sich halbherzig dafür.

Überhaupt zeigten sich die Spitzenspielerinnen in zahlreichen Fragen uneins. Den Vorschlag der FIDE, Abdumalik kurzfristig durch eine Spielerin aus Indien zu ersetzen, lehnte die Mehrzahl der Teilnehmerinnen ab. Ebensowenig konnte man sich auf eine Neuauslosung der Paarungen einigen. Heftige Diskussionen, Tränen und sogar emotionale Zusammenbrüche habe es gegeben, so war zu lesen.

Elisabeth Pähtz hatte jedenfalls die Nase voll und zog sich ebenfalls vom Turnier zurück. Gegenüber ChessBase India begründete sie dies wie folgt: 

Die beabsichtigte Lösung einer neuen Auslosung mit gerechter Farbverteilung scheiterte am Ultimatum einer einzelnen Spielerin. Selbst bei einem Start mit 6 mal Weiß und 4 mal Schwarz wie in meinem Fall ist eine ungerechte Verteilung anderer Spielerinnen für mich keine Voraussetzung für ein faires und gleiches Turnier für alle.

Über fehlende Solidarität des Deutschen Schachbundes kann sich Pähtz jedenfalls nicht beklagen, denn dieser sprang ihr direkt mit einem Statement über unangemessenen Bedingungen und das fragwürdige Management des Turniers durch die FIDE und den lokalen Organisator zur Seite. 

Die indischen Veranstalter bemühten sich derweil sichtlich um Glättung der Wogen. Turnierdirektor Bharat Singh Chauhan, der bereits für die gelungene Schacholympiade in Chennai verantwortlich war, schüttelte vor der 1. Runde allen Spielerinnen demonstrativ die Hand. Bei Aleksandra Goryachkina stieß er aber auf Granit. Die Russin weigerte sich, den Handschlag zu erwidern. Eine Geste, die Susan Polgar auf Twitter so kommentierte: Das ist keine angemessene Art, mit Bharat umzugehen.

Schach wurde übrigens auch noch gespielt. Es gewann Handschlag-Verweigerin Goryachkina dank einer besseren Tiebreakwertung vor der punktgleichen Borschtsch-Liebhaberin Assaubayeva. Ebenfalls punktgleich auf Platz 3 landete Zhu Jiner. Die Chinesin darf sich außerdem über ihre dritte GM-Norm freuen. Sie krönte sich somit zur 41. Großmeisterin der Schachgeschichte. Auf diese Weise fand das Turnier doch noch einen abschließenden sportlichen Höhepunkt. Ab dem 15. Mai findet dann das letzte Turnier des Grand Prix Zyklus in Nikosia (Zypern) statt. 


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